was ist Spiritualität für mich?

11.04.2021 09:55
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was ist Spiritualität für mich?

Hallo,
ich beschäftige mich ja gerade mit dem "Humanismus-Kurs" der Humanistischen Vereinigung. Dort gibt es auch ein Kapitel über Spiritualität, wovon ich euch hier Auszüge zitieren möchte:
......."Einige Kritiker behaupten, der humanistischen Idee vom guten Leben fehle eine ganze Dimension, sie lasse keinen Raum für „Tiefe“ oder „Wunder“. Im Folgenden erklärt Jacqueline Watson, eine humanistische Rednerin und Beraterin aus Großbritannien, wie unser Leben durch eine humanistische Weltanschauung weder geschmälert noch eine spirituelle Dimension geleugnet werden muss:

Der Ausdruck „Spiritualität“ hat religiöse Wurzeln und bezieht sich ursprünglich auf die Idee, dass der Mensch eine immaterielle Seele hat. Humanist*innen sind zumeist Materialist*innen und glauben nicht an ein so verstandenes spirituelles Reich. Viele ziehen es vor, das Wort „Spiritualität“ erst gar nicht zu verwenden.

Andere Humanist*innen argumentieren jedoch, dass Spiritualität auch anders verstanden werden kann. Der Ausdruck bezieht sich demnach auf eine Reihe natürlicher menschlicher Eigenschaften, die für nichtreligiöse Menschen ebenso wichtig sind wie für religiöse Menschen. Wenn wir uns der Sprache der Spiritualität bedienen, um uns auf eine natürliche Dimension des menschlichen Lebens zu beziehen, dann können nichtreligiöse Menschen in die Diskussion einbezogen werden.

Bei Spiritualität geht es um Sinn. Alle Tiere müssen der Umwelt, in der sie leben, – zumindest metaphorisch – einen Sinn abgewinnen (d. h. einen Entscheidungshorizont oder Kontext finden), um nicht in Flüsse zu fallen, um Nahrung oder einen geeigneten Partner zu finden. Aufgrund seiner besonderen Fähigkeiten im Umgang mit der Sprache, ist der Mensch hier weiter gegangen und hat ein existenzielles Bedürfnis entwickelt, seinem Leben einen Sinn zu geben.
Viele meinen, dass es ohne Gott oder ein höheres Wesen keinen Sinn im menschlichen Leben gibt. Humanist*innen vertreten aber die Position, dass es keinen solchen vorherbestimmten Sinn gibt. Dennoch haben auch Menschen ohne Religion das Verlangen danach, dass ihr Leben einen Sinn hat. Humanist*innen gehen nun davon aus, dass jeder von uns einen spirituellen Sinn für sich selbst „entwickelt“; d. h., wir sind für unsere eigene Spiritualität verantwortlich.

Um diese spirituelle Dimension zu erreichen, müssen wir ein im Menschen tief verwurzeltes Bedürfnis stillen, und zwar den Wunsch nach Zugehörigkeit zu etwas, das größer ist als wir selbst. Traditionell wird das zwar als Verbindung zu einem Gott oder einem anderen höchsten Wesen verstanden. Aber auch nichtreligiöse Menschen können solche Verbindungen eingehen: mit der Natur, unserem Planeten oder dem Universum; mit Familie oder Freunden; sogar mit einem Verein oder einer politischen Partei; oder mit all dem Genannten oder mit etwas ganz anderem.

Wir suchen besonders in wichtigen Lebensabschnitten nach spiritueller Bedeutung. Wenn zwei Menschen heiraten, wollen sie oft mehr als nur eine rechtliche Regelung, sie möchten ihrem Partner Versprechungen machen, die auf gemeinsamen Überzeugungen beruhen. Am Ende unseres Lebens wollen wir eine sinnvolle Geschichte erzählen können, wir wollen, dass sich unser Leben in ein größeres Bild, in ein größeres Ganzes einfügt. Manchmal wollen und müssen wir unseren Alltag transzendieren – ihn also hinter uns lassen und eine höhere Perspektive einnehmen.

In ähnlicher Weise hat Spiritualität mit einem weiteren positiv besetzen Gefühl zu tun: der vorübergehende Verlust unseres Selbst. Und auch dieser „Selbstverlust“ erfordert keine religiöse Mystik oder Meditation. Wir können ihn an einem bestimmten Ort, mit einer Person oder mit einer Gruppe erreichen. Wenn man in einer Tätigkeit vollkommen aufgeht, spricht man vom "flow"; z. B. beim Gehen, Surfen oder Malen, beim Schrauben am Motorrad oder in der Fankurve beim Lieblingsverein. Auch wenn das Verstehen des großen Zusammenhangs für Humanist*innen wichtig ist, zeichnen sich einige der spirituell erfüllendsten Momente unseres Lebens dadurch aus, dass wir die Vernunft ausschalten.

Spiritualität ist auch mit einem Gefühl der Ehrfurcht und des Staunens verbunden. Eine religiöse Person könnte behaupten, dass dies durch die Offenbarung der Allmacht eines Gottes erreicht wird. Humanist*innen können ein Gefühl der Ehrfurcht und des Staunens durch die Erkenntnisse der Wissenschaft erreichen; etwa durch Einsicht in die erstaunliche „Funktionsweise“ der natürlichen Welt und des Universums. Eine „wissenschaftliche Offenbarung“ kann, wenn man sie vollständig durchdringt, einen „spirituellen Schock“ erzeugen. Der kann genauso mächtig sein wie vermeintlich mystische Einsichten, obwohl er in der materiellen Realität verwurzelt ist. Der bedeutende Wissenschaftler Carl Sagan sagte:

„Der Stickstoff in unserer DNA, das Kalzium in unseren Zähnen, das Eisen in unserem Blut, der Kohlenstoff in unserem Apfelkuchen wurden im Inneren kollabierender Sterne hergestellt. Wir sind aus Sternenstaub gemacht.“

Die spirituelle Erfahrung, die die Wissenschaft hervorbringen kann, kann Menschen auch zu moralischem Handeln motivieren, indem sie unsere Verbindungen zu anderen Menschen oder die „staunenswerten“ Wunder der natürlichen Welt deutlich macht." (Zitat Ende)

Meine persönlichen Gedanken dazu:
- die Suche nach dem Sinn: das hätte ich persönlich jetzt nicht unbedingt unter "Spiritualität" eingeordnet; ich vertrete aber auch die Ansicht, dass jede(r) den Sinn in seinem/ihrem Leben selber suchen muss und soll.
- die Sehnsucht der Menschen nach etwas, das größer ist als man selbst: das fühle ich am ehesten in der Gemeinschaft mit Menschen mit denen ich etwas gemeinsam tue: in einem interessanten Gesprächskreis, in meinem Chor, beim Tanzen, in der Natur aktiv sein, auch durchaus z.B. auf einer Demo für ein gemeinsames politisches Ziel,...
- am ehesten unter den Begriff "Spiritualität" einordnen würde ich das oben angesprochene "Staunen" über die Welt und die Menschen im weitesten Sinne. Wenn ich z.B. im Sommer draußen bin und den Sternenhimmel über mir sehe, bin ich immer wieder ergriffen davon. Die Vorstellung, wie weit dieses Licht der Sterne unterwegs zu uns ist, wie weit das Universum ist, dass alle Menschen auf der Erde den Sternenhimmel sehen,...das bewegt mich sehr...und das führt dann manchmal auch zu Gefühlen, dass ich mich mit der ganzen Menschheit verbunden fühle.
Oder auch der Ausspruch "wir sind alle Sternenstaub": das finde ich so bewegend! Alle Lebewesen haben einen gemeinsamen Ursprung, alle Menschen bestehen aus den gleichen "Substanzen", auch viele "höhere" Tiere sind uns in Vielem sehr ähnlich und das verbindet uns auf gewisse Art und Weise miteinander..und sollte uns zu Achtsamkeit im Umgang miteinander Anlass sein..
Auch wenn ich Menschen kennenlerne, die mich in irgendeiner Art und Weise "berühren", wenn z.B. in einem Gespräch so eine Art "flow" entsteht, oder wenn ich über Menschen und ihre Handlungen oder Erkenntnisse staune, ist das für mich so etwas wie "Spiritualität".
Letztendlich ist es wahrscheinlich wieder mal so, dass jeder seine eigene Definition von Spiritualität finden muss und es viele verschiedene gibt. Meines Erachtens gehört das aber auf jeden Fall zum Humanismus! Jedoch habe ich auch in Diskussionen schon öfter Menschen kennengelernt, die damit absolut nichts anfangen konnten und solche "Verbundenheits- oder Staunens-Gefühle" überhaupt nicht haben. Auch spannend!
Ich freue mich darauf, eure Erfahrungen/Definitionen zu diesem Thema bei unserem Termin zu hören und auf den Austausch mit euch!
Isolde


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12.04.2021 12:56
#2
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Liebe Isolde, herzlichen Dank für Deine persönlichen Gedanken zur Spiritualität, die mir gut gefallen. Zum Stichwort "Staunen" im Zusammenhang mit der Spiritualität fällt mir gleich eine ganze Reihe von Büchern ein, zuvorderst vielleicht R. Dawkins: Der entzauberte Regenbogen aber auch R. Dawkins: Der erweiterte Phänotyp.
HG
Archimedes


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