Verbindungen zwischen Digitalisierung / KI und Humanismus
#1
Verbindungen zwischen Digitalisierung / KI und Humanismus
Nicht nur wir beschäftigen uns mit diesem Thema, sondern auch z.B.
Julian Nida/Rümelin und Nathalie Weidenfeld im Buch "Digitaler Humanismus"
Ob Pflegeroboter, Sprachassistenten wie Alexa und Siri oder elektronische Steuerungen im Auto: Die Digitalisierung rückt dem Menschen im Alltag buchstäblich immer näher. Längst steht die Frage nach einer Ethik im Raum, um die künstliche Intelligenz in ihre Schranken zu weisen. Unser Autor plädiert dafür, die Ideale des Humanismus für die digitale Welt wiederzubeleben. Sein Hauptanliegen: den Menschen in den Mittelpunkt stellen.
Ein Exzerpt davon
https://www.mpg.de/13547672/W002_Zur-Sache_010-015.pdf
Gert Scobel mit Künstliche Intelligenz philosophisch betrachtet
https://www.youtube-nocookie.com/embed/oYc4p3o6IFA
Universität für angewandte Kunst, Wienbibliothek im Rathaus und "Wiener Zeitung"
https://www.wienerzeitung.at/dossiers/digitaler-humanismus/2079783-Auf-der-Suche-nach-dem-dritten-Weg.html
mit den in youtube zu Verfügung stehenden Podiumsdiskussionen
Digitaler Humanismus. Schwerpunkt Bildung
https://www.youtube-nocookie.com/embed/1HWei7aZrSE
Algorithmen- Freund oder Feind?
https://www.youtube-nocookie.com/embed/H6xBOP1O3nI
Wie bei andere Technologien hängen Chance und Nutzen bzw. Schaden und Risiko von Intention und Rahmenbedingungen des Einsatzes ab.
Unbestreitbar ist die Mächtigkeit der Technologie Digitalisierung und KI, so dass Chancen und Risiken des Einsatzes entsprechend groß sind
#2
Der Artikel „Digitaler Humanismus“ in der Ausgabe 2/19 der „MaxPlanckForschung“ (https://www.mpg.de/13547672/W002_Zur-Sache_010-015.pdf), den Julian Nida-Rümelin selbst verfasst hat, ist m.E. sehr lesenswert. Und obwohl ich die meisten, wenn nicht sogar alle seiner humanistischen Forderungen bzw. Folgerungen teile, meine ich, dass wenigstens eine seiner Schlussfolgerungen unlogisch ist. Das mag für die praktische Gültigkeit seiner Forderungen unerheblich sein, schwächt aber doch die Überzeugungskraft seines Arguments.
Nida-Rümelin behauptet: „Wenn Menschen genauso determiniert agierten wie Turing-Maschinen, dann ließe sich all unser Verhalten prinzipiell vorhersagen.“ (Seite 12 des Hefts 2/19, 3. Blatt des Artikels, rechte Spalte, 2. Absatz). Und daraus schließt er (im selben Absatz, diesmal logisch richtig): „Das hieße aber, dass wir das Wissen zukünftiger Gesellschaften ebenfalls prognostizieren könnten, was aber mit einem genuinen Fortschritt des Wissens unvereinbar ist und zudem logische Probleme aufwirft, auf die schon Karl Popper hingewiesen hat.“
Ich meine: Wenn aus einer Prämisse durch korrektes logisches Schließen ein Widerspruch folgt, dann muss die Prämisse fehlerhaft sein, und das ist sie auch (wenigstens für mich) ganz offensichtlich, denn diese Prämisse beruht auf der fehlerhaften Gleichsetzung von Determination (VorherBESTIMMUNG) mit VorherSAGBARKEIT.
Damit beruht aber auch Nida-Rümelins noch grundsätzlichere Behauptung, der Humanismus sei mit dem Naturalismus unvereinbar, auf derselben fehlerhaften Gleichsetzung. Ich meine stattdessen: Der Humanismus ist vermutlich unvereinbar mit der m.E. offensichtlich unzutreffenden Auffassung, der (konsequente, reduktionistische) Physikalismus erlaube ein vollständiges Verständnis (aller Aspekte) der Realität. Blickt man etwas tiefer in das neueste Buch des Autors („Eine Theorie praktischer Vernunft"), sein „opus magnum“, in dem nach eigener Bekundung alle seine bisherigen Veröffentlichungen zusammenfließen, dann wird schnell deutlich, dass er den Naturalismus im Wesentlichen mit Physikalismus und Reduktionismus gleichsetzt. Unter Philosophen steht er damit vermutlich leider nicht ganz allein.
Danke, oh Archimedes, ein interessanter Artikel!
Und du hast völlig Recht mit der Kritik an N-R's lausiger Argumentation in dem zitierten Absatz. Ich war anfangs versucht, ihn zu retten, da er ja sagt "liesse sich prinzipiell vorhersagen", wobei man an das berühmte höhere Wesen denken könnte. Aber das lässt er dann fallen und bezieht sich nur noch auf menschliches Vorhersagen und das merkwürdige Argument mit dem "evolutionären Fortschritt"...
Gesetzt nun es wäre alles vorherbestimmt (wenn auch nicht menschlich vorhersagbar), dann könnte man sagen: Nach und nach entdecken wir Sterblichen, was die nicht existenten höheren Wesen schon lange wissen. Wäre das nicht widerspruchsfrei-möglich? Aber humanistisch-kalt wird mir trotzdem dabei...
#4
Lieber Uhu, ich verstehe, was Du meinst, wenn Du dem Naturalismus eine gewisse Kälte gegenüber den Belangen der Menschen attestierst, aber ich meine, dass dem (mindestens) ein Missverständnis zugrunde liegt, eher mehrere Missverständnisse, die leider auch Nida-Rümelins Überlegungen beeinflussen, wenn ich ihn richtig verstehe.
Erstens ist schon das Wort Determinismus irreführend, denn ein moderner Naturalist geht (im Gegensatz zu den klassischen „Materialisten“) heute nicht mehr davon aus, dass alles was geschieht vorherbestimmt ist. Stattdessen besteht der moderne Naturalist unter dem Eindruck der Quantenphysik nur noch auf einer durchgehenden Gesetzmäßigkeit der Natur, wobei diese Gesetzmäßigkeit den genuinen (nicht nur epistemischen) gesetzmäßigen Zufall, den sogenannten „Quantenzufall“, explizit (zumindest als Möglichkeit) mit einbezieht. Wenn der moderne Naturalist von Determination oder Determinismus spricht, dann meint er oft diese Zufallsgesetzmäßigkeit. Diese sprachliche Ungenauigkeit ist Ursache zahlreicher Missverständnisse in der modernen Philosophie.
Zweitens ist der moderne Naturalist KEIN reduktionistischer Physikalist (wie Nida-Rümelin wohl meint), sondern ein „emergentistischer Materialist“ im Sinne Mario Bunges und Gerhard Vollmers. Aber auch der Ausdruck „emergentistischer Materialismus“ ist nicht wirklich glücklich gewählt; ich fände es treffender, von einem „emergentistischen Naturalismus“ zu sprechen, durch den alles Immaterielle oder alles „Überphysikalische“, insbesondere alles Geistige, als emergentes Produkt des „Materiellen“ (des Physikalischen) behandelt wird, und in dem der Reduktionismus auf einen programmatischen Reduktionismus (G. Vollmer) beschränkt wird, der das Programm der Reduktion zwar als erfolgversprechende Methode der Wissenschaft ansieht, der aber nicht behauptet, diese Reduktion sei durchgehend gelungen oder könne jemals durchgehend gelingen.
Drittens sind ALLE Naturalisten, die ich persönlich kenne, nicht ausschließlich Naturalisten sondern vor allem MENSCHEN, die von der biologischen Evolution mit diesem „natürlichen“ Wirklichkeitsmodell ausgestattet sind, das ich gerne das „intentionale Wirklichkeitsmodell“ nenne, und in dem es all diese schönen Dinge gibt wie Gründe, Entscheidungen, Freiheit, Verantwortung für sich selbst und für andere Menschen, Hoffnung und vor allem zwischenmenschliche Beziehungen wie Kooperation, Freundschaft und Liebe.
Der Naturalismus ist also KEIN Grund zum „Frösteln“. Die Gründe für soziale Kälte müssen wir woanders suchen.
Du nahmst mir die Pointe, oh Archimedes, denn frösteln machte mich ja nicht dein Naturalismus, der wärmt auch mich, sondern eben der konsequente Determinismus. Und bitte nicht die Begriffe aufweichen, sondern allenfalls die Inhalte. "Determiniert" heisst determiniert, Punkt. Wenn wir das inhaltlich aufweichen wollen, dann gibt es die Möglichkeit, von "angemessenem Determinismus" (adequate det., soft causality) zu sprechen - dabei wird mir schon etwas wärmer.
#6
Prima Hinweis. Danke, lieber Uhu. Dazu habe ich zwei gute Quellen gefunden:
https://www.informationphilosopher.com/f...eterminism.html
https://www.informationphilosopher.com/f..._causality.html
Artikel von R.D. Precht: Roboter können keine Moral in Die Zeit, 18.6.2020, S. 32
...Der Begriff "künstliche Intelligenz" wirkt auf viele IT-Experten wie ein Marketingtrick. Dass Maschinen überschaubare Aufgaben blitzschnell auszuführen lernen, ist das eine - eine allumfassende Superintelligenz etwas anderes. Wer glaubt, dass tote Rechenmaschinen Geist, Bewusstsein oder Gefühle entwickeln, hat nicht mal entfernt verstanden, was Geist, Bewusstsein und Gefühle sind.
Hier noch einige interessante Aspekte in Kurzform:
1. Können Roboter einen "Willen" entwickeln - z.B. zum Zerstören, eigenmächtig, ohne dazu programmiert zu sein?
2. Können Roboter moralische Entscheidung unabhängig von ihrer Programmierung fällen?
3. Beim Menschen wirkt zuerst ein Gefühl (Zuniegung, Mitleid, Furcht, Ekel...) dann kommt die Entscheidung zur Tat. KI und Gefühl?
4. Was den menschen zum Menschen macht, liegt nicht in apriorischen Festlegungen oder Programmierung. Es ist die besondere Weise, wie wir mit unserer Umwelt kommunizieren. Wir reagieren nicht einfach auf sie, sondern wir konstruieren sie uns als unsere Welt.
5. Robo-Cars...sind vielleicht die Lösung für unsere Verkehrsprobleme. Viel wahrscheinlicher sind sie nicht einmal das. In jedem Fall aber gehen sie einher mit einem Verstoß gegen das Grundgesetz (Menschenwürde) und einer drastischen Einschränkung unserer Freiheit. Wer das will, will nicht nur einen naderen Verkehr - er will einen anderen Staat.
Xerxes
Wir können nicht die KI in ihre Grenzen weisen, sondern nur die Menschen, die sie nach "ihrem Bilde" programmieren. Wir sollten vorher klären, was KI für uns ist und was sie - unabhängig - kann. Kann sie überhaupt etwas unabhängig? Worüber müssen wir also reden: Über Roboter oder Menschen? Was hat sich verändert im Verhältnis von Roboter und Mensch? Fürchten wir nicht vielmehr die Menschen "hinter" den Robotern? Gibt es eine Ehtik im Roboter, und wenn ja, wie entwickelt sie sich unabhängig natürlich. Denn man tut doch gerne so, als würde die KI uns Menschen beherrschen, ich glaube, es sind eher diie Menschen hinter den Maschinen, über die müsste man reden. (s. auch Nida-Rümelin, der kurz aufzeigt, wie die Digitalisierung heute vorwiegend der Gewinnmaximierung in allen Facetten dient. Sind wir schon zu spät dran?
Xerxes
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