Artikel von Thomas Metzinger in der SZ vom 24.6.

05.07.2021 09:10 (zuletzt bearbeitet: 05.07.2021 17:54)
#1
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Am 24.6. veröffentlichte die SZ unter der Rubrik Wissen den Artikel "Im Ozean der Qualen" des Philosophen Thomas Metzinger.

Seine Einleitung dazu ist: Der Mensch scheut den Blick in den Abgrund seiner Existenz: Fast alle Lebewesen auf diesem Planeten erfahren mehr Leid als Glück. Was kann man dagegen tun?

Der Artikel ist kostenlos online verfügbar unter:
https://www.philosophie.fb05.uni-mainz.de/files/2021/06/Metzinger_Leiden_Mitgefuehl_Selbstachtung_SZ_24_April_2021.pdf

Bei der Auswahl des Themas wurde beschlossen, dass es hilfreich ist, wenn jede Teilnehmerin an der Diskussion am 26. Juli zum Thema Wissenschaft und Philosophie diesen Text gelesen hat.
Ebenso freuen wir uns über eine rege Diskussion im Forum.


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05.07.2021 15:11 (zuletzt bearbeitet: 07.07.2021 22:26)
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#2
Sc

Danke, Holger, für gute Leitgedanken und Danke, Wolfgang, für den Link zum SZ-Artikel


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06.07.2021 20:26
#3
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Hallo an alle,

Scottie hat mich namentlich erwähnt, weshalb ich meinen E-Mailtext, auf den sie sich wohl bezieht, auch an dieser Stelle zitieren möchte:
"heute bin ich dazu gekommen, einen Text heraus zu suchen, der - aus meiner Sicht - einen gelungenen Blick auf das Verhältnis von (Natur-)Wissenschaften und Philosophie wirft.
Es handelt sich um den Vortrag "Veritas filia temporis" von Julian Nida-Rümelin. Insbesondere die beiden auf sich folgenden Abschnitte "III. Der systematische Kern des Schismas" und "IV Überwindung des Schismas" sind meiner Meinung nach sehr lesenswert.
Leider gibt es diesen Text nicht im Internet frei zugänglich (meine Recherche hat nichts ergeben).
U.a. ist dieser Vortrag in dem Buch "Humanistische Reflexionen" von J. Nida-Rümelin enthalten.
So umfassend wie in diesem Text kann ich meine Position mündlich nicht vortragen, weshalb ich eben hierzu hinweisen möchte.
Mir ging es so, dass ich diesen beim ersten Lesen nur bruchstückhaft verstanden habe, weil hier ganze Sachverhalte einfach nur mit einem Fremd- / Fachwort benannt sind.
Anfänglich waren mir viele Konzepte nicht vertraut. Ein Beispiel: Epistemisch. Für mich habe ich dies so umschrieben: "auf die Erkenntnislage des Einzelnen mit seinem persönlichen Wissen in der aktuellen Situation bezogen". Und hier noch eine Reihe weiterer Wörter:
- theoretische
- empirische
- deskriptive
- normative
- evaluative
- emotive
Gründe

Erst als ich mir diese Konzepte erarbeitet habe, konnte ich den Text richtig "genießen".
Ich spreche dies hier an, weil ich nicht weiß, was ich bei den Teilnehmerinnen voraussetzen kann.
Denn wenn ich ein mal von mir ausgehe, ich habe ein Hochschulstudium erfolgreich absolviert (Oecotrophologie mit Diplom) bei dem sowohl Inhalte aus Naturwissenschaften (z.B. Biochemie) wie auch Geisteswissenschaften (Beratungslehre) enthalten waren und dennoch konnte ich beim ersten Lesen des Textes vieles nicht exakt zuordnen.
Ohne diesen Hintergrund aus dem obigen Vortrag bleibt meine Position zu der Einschätzung von (Natur-)wissenschaften und Philosophie womöglich unverständlich.
(...).
Meine ersten Leitfragen wären:
1. Was können wir Wissen?
2. Wie können wir begründen?
3. Wie wird Wissen zur Wahrheit?
4. Wie leben wir Menschen unseren Alltag: rein naturwissenschaftlich oder rein philosophisch?"

Beim Durchlesen kommt mir der Gedanke, dass der Grundtext von T. Metzinger schon für sich viele inhaltliche Anregungen mitbringt, ohne dass wir dies dann auch noch abstrahieren müssen auf "Wie passen Wissenschaft und Philosophie zusammen?".
Aber sei's drum, ich spreche auch lieber über die Verbindung aus Wissenschaft und Philosophie als den "Ozean der Qualen".

@Wolfram: Welche Überlegungen haben Dich zu diesem Thema motiviert?

Herzliche Grüße
Holger


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16.07.2021 19:57 (zuletzt bearbeitet: 17.07.2021 12:02)
#4
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Holger stellt (siehe #3) die folgenden, meiner Meinung nach sehr klug ausgewählten 4 Leitfragen:

H1. Was können wir wissen?
H2. Wie können wir begründen?
H3. Wie wird Wissen zur Wahrheit?
H4. Wie leben wir Menschen unseren Alltag: rein naturwissenschaftlich oder rein philosophisch?"

Zum Vergleich hier die berühmten „4 Grundfragen der Philosophie“ https://dajolens.de/blog/kants-vier-fragen nach Immanuel Kant:

K1: Was kann ich wissen?
K2: Was soll ich tun?
K3: Was darf ich hoffen?
K4: Was ist der Mensch?

Zu den Fragen K1 bis K4 gibt es natürlich Literatur ohne Ende. Da die Fragen H1 und K1 im Grunde identisch sind, möchte ich hier davor warnen, anzunehmen, dass Kant diese Frage abschließend oder auch nur in (uns heute) befriedigender Weise beantwortet hat. Wesentlich überzeugender finde ich die modernen Antworten der „Evolutionären Erkenntnistheorie“ (*, insbesondere G. Vollmer) und des sog. „Kritischen Rationalismus“ (Sir Karl Popper, https://de.wikipedia.org/wiki/Kritischer_Rationalismus ) auf die Fragen H1 bis H3.

Die absolute Kurzfassung der Antworten Poppers auf die Fragen H1 bis H3 lautet:

Auf H1: Es gibt kein sicheres Wissen.
Auf H2: Es gibt keine Letztbegründungen (sog. „Münchhausen-Trilemma“ https://de.wikipedia.org/wiki/Münchhausen-Trilemma ).
Auf H3: Wären wir zufällig im Besitz der (endgültigen) Wahrheit, wir könnten es nicht beweisen und würden es nicht einmal bemerken. Wir können nur falsche Aussagen als falsch erkennen.

An der Antwort auf Holgers 4. Frage (H4) arbeite ich noch. :-)


*) Quellen zur Evolutionären Erkenntnistheorie

1. Campbell, Donald T. 1974. Evolutionary epistemology. In The philosophy of Karl Popper, ed. Paul A. Schilpp, 413–463. La Salle: Open Court.
2. Demandt, Alexander. 2011. Philosophie der Geschichte. Von der Antike zur Gegenwart. Kap. XIV: Geschichtsbiologismus: Oswald Spengler und Konrad Lorenz. Wien: Böhlau.
3. Diamond, Jared. 2005. Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen. Frankfurt: S. Fischer.
4. Haarmann, Harald. 2005. Lexikon der untergegangenen Völker. München: Beck.
5. Lorenz, Konrad. 1973. Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens. München: Piper.
6. Quine, William V.O. 1969. Epistemology naturalized. In Ontological relativity. Deutsch in Quine (1975), Ontologische Relativität und andere Schriften, 97–126. Stuttgart: Reclam.
7. Rescher, Nicholas. 1994. Warum sind wir nicht klüger? Der evolutionäre Nutzen von Dummheit und Klugheit. Stuttgart: Hirzel.
8. Ruse, Michael. 1995. Evolutionary naturalism. London/New York: Routledge.
9. Sellars, Roy W. 1922. Evolutionary naturalism. Chicago: Open Court.
10. Simpson, George Gaylord. 1963. Biology and the nature of science. Science 139, Issue 3550: 81–88.
11. Spengler, Oswald. 1923. Der Untergang des Abendlandes. München: Beck.
12. Vollmer, Gerhard. 1975. Evolutionäre Erkenntnistheorie. Stuttgart: Hirzel.
13. Vollmer, Gerhard. 1985. Was können wir wissen? Band 1: Die Natur der Erkenntnis. Stuttgart: Hirzel.
14. Vollmer, Gerhard. 1986. Was können wir wissen? Band 2: Die Erkenntnis der Natur. Stuttgart: Hirzel.
15. Vollmer, Gerhard. 1987. Was Evolutionäre Erkenntnistheorie nicht ist. In Vollmer 1995a, 133–161.
16. Vollmer, Gerhard. 1994. Was ist Naturalismus? Eine Begriffsverschärfung in zwölf Thesen. In Vollmer 1995b, 21–42.
17. Vollmer, Gerhard. 1995a. Biophilosophie. Stuttgart: Reclam.
18. Vollmer, Gerhard. 1995b. Auf der Suche nach der Ordnung. Stuttgart: Hirzel.
19. Vollmer, Gerhard. 2013. Gretchenfragen an den Naturalisten. Aschaffenburg: Alibri.
20. Vollmer, Gerhard. 2017. Im Lichte der Evolution – Darwin in Wissenschaft und Philosophie. Stuttgart: Hirzel.


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