Ist konsequente Gewaltfreiheit für Humanisten derzeit eine politische Option?

28.07.2021 11:55
avatar  Uhu
#1
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Uhu

Bestimmt lässt sich das Thema besser formulieren; Vorschläge willkommen.
Zuerst dachte ich an einen "strengen Pazifismus", um dann nachzufragen, ob es auch einen "weichen" gäbe, der z.Z. politisch verantwortbarer ist. ( Die Partei der Humanisten schreibt unter dem Programmpunkt Verteidigung: "Europa soll friedlich sein, aber nicht zahnlos.")
Wenn die Diskussion wenigstens potentiell unser Wahlverhalten beeinflussen soll, dann wäre es ein Thema nur für den 15. September.
Andererseits: Das Thema in der ursprünglichen Formulierung, wie Holger es vorschlug und Bob es durch seinen sehr persönlichen Beitrag vertiefte, läge besser nach dem ganzen Wahlrummel, am 27. September also.


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28.07.2021 19:23
avatar  Cocci
#2
Co

Hallo Ferdinand,
sehr gutes Thema.
Ich hatte auch so etwas in meinem Entwurf formuliert:
--> die freiwillige Knechtschaft der Menschen / Warum mag der Mensch unterworfen sein, gehorsam sein. Wie wäre die Welt ohne jegliche Autorität/Polizei/Gerichte? (hier möchte ich bewusst die Verkehrsregeln ausnehmen).
Wenn man auf die 2. Frage tiefer nachdenkt, kommen wir automatisch auf dem Thema Gewaltfreiheit oder "friedlich ja, aber nicht zahnlos".
Wir könnten diese Themen koppeln glaube ich.
Und das interessiert mich sehr.
Viele Grüße
Dorothée


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28.07.2021 20:53
#3
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30.07.2021 11:12
avatar  Uhu
#4
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Uhu

Danke, Holger - und ein Tip für nachfolgende Beiträge: Über Holgers Link kommt ihr in den ursprünglichen Zweig der Diskussion zu diesem Thema!

Nun noch zu Cocci/Dorothée (Nr. 2): Ja, dein Thema hängt eng zusammen mit dem von mir vorgeschlagenen. Ich frage mich z.B. manchmal, ob es auch eine Tugend sein kann, auch in der Demokratie, sich Regeln zu unterwerfen, die man nicht restlos verstanden hat, einfach auf der Basis von Vertrauen. (Siehe Corona und Querdenker...) Vielleicht sagt jetzt aber jemand: "Da kannst du ja gleich in die VR China auswandern!"?

Sowohl Holgers Rückverweis auf den Ursprung des Themas wie auch deine Erweiterung sprechen aber doch für eine fundamentalere Diskussion der Gewaltfreiheit, die besser nach der Bundestagswahl stattfindet, also z.B. am 27.09.
Auch wenn der Punkt mit dem "zahnlosen Europa" bei der Humanistenpartei nicht restlos geklärt ist (übrigens: Bobs Reaktion in der geschilderten Episode war ja keineswegs 'zahnlos'!), werde ich sie diesmal wählen. Es besteht wenig Gefahr, dass sie schon gleich über Militäreinsätze in Mali mitentscheiden müssen...


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30.07.2021 14:06
#5
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Lieber Uhu,

ich bin einigermaßen überzeugt, dass – wie Du schreibst - es auch in einer Demokratie eine Tugend sein kann, sich Regeln zu unterwerfen, die man nicht restlos verstanden hat, einfach auf der Basis von Vertrauen. Denn schließlich haben wir alle ja streng genommen fast gar nichts „restlos“ verstanden. Dazu hätten wir alle Experimente der Wissenschaftsgeschichte ganz persönlich selbst durchführen müssen. Stattdessen vertrauen wir auf ein Netzwerk von sich gegenseitig stützenden Befunden und Theorien, wobei das Vertrauen begründet wird durch die Plausibilität dieser Befunde und Theorien im Gesamtzusammenhang dieses Netzwerks.

Entscheidend ist für mich, dass es in diesem hochvernetzten Prozess der Erkenntnis trotz allen notwendigen Vertrauens immer wieder zur Berichtigung kommt, weil sich am Ende doch nur diejenigen Hypothesen als haltbar erweisen, die der Prüfung durch den Vergleich mit der Realität standhalten. Wir finden auf diese Weise zwar keine endgültige Wahrheit, aber wir dürfen hoffen, dass das Falsche schließlich entdeckt und korrigiert, d.h. durch etwas Besseres ersetzt wird, wodurch wir uns, wenn wir Glück haben, der Wahrheit annähern oder uns zumindest nicht weiter von ihr entfernen.


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10.10.2021 17:33
#6
Ch

Hallo zusammen,

leider konnte ich die bisherige Diskussion aus Zeitgründen nicht verfolgen (Wasserschaden, Diss). Ich habe mich aber im September ausführlich mit dem Thema Gewaltfreiheit beschäftigt. Damals habe ich zusammen mit einem Freund einen Vortrag gehalten, allerdings in einer anarchistischen Runde. Für den Treffpunkt Humanismus hier könnten meine Notizen über das vielfache Scheitern von bürgerlichem Pazifismus interessant sein.

Ich beziehe mich dabei auf zwei Bücher des aktuellen Anarchisten Peter Gelderloos, von denen immerhin das zweite komplett online steht. (Vom ersten leider nur die ersten vier Kapitel, auf die ich mich kaum beziehe.) Es handelt sich jeweils um gut recherchierte Fallsammlungen, welche (i.m.A. überzeugend) die zentrale These des Autors untermauern:
Gewaltfreiheit wird von staatlicher Seite dazu genutzt, Befreiungsbewegungen (wie etwa gegen die Briten in Gandhis Indien, oder der Schwarzen in Martin Luther Kings USA) systematisch zu schwächen:

The Failure of Nonviolence

How Nonviolence Protects the State

Mein angehängtes Dokument ist kein ausgearbeiteter Vortrag, kann aber evtl. in der Runde morgen als Referenz dienen.

Hier nur, als "unappetitliches Appetithäppchen", ein einziges, erschreckendes Zitat:

Zitat
"In 2005, during the height of armed resistance to the US occupation of Iraq, the Pentagon got caught running a multimillion doller covert propaganda campaign, paying to plant articles in Iraqi media made to appear as though they were written by locals, urging Iraqis to use nonvieolent tac-tics to resist the Americans. This fact alone should discredit all the argu-ments and pretentions of nonviolence, were not an ability to ignore embaras-sing facts a prerequisite for believing in nonviolence."



Ich habe von Gelderloos gelernt, der Idolisierung von gewaltfreien Kämpfer*innen, wie eben Gandhi oder Martin Luther King, zu misstrauen. Abgesehen davon, dass ihre Kämpfe nicht so "erfolgreich" waren, wie ich meinte, "gelernt" zu haben, wurden die (ehrbaren!) gewaltfreien Kämpfe der beiden ohne gewaltsame Begleitung nicht denkbar gewesen (z.B. durch Chandrasekhar Azad, bzw. Malcolm X).

Da ich auch eine Weile bei den Münchner Pazifist*innen unterwegs war (der DFG-VK in der Schwanthalerstraße), war somit meine anarchistische Beschäftigung mit dem Thema auch eine Art (trauriger) Selbsterkenntnis...

Beste Grüße,
Christoph


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