Angst vor dem Krieg

27.02.2022 17:16
avatar  humano
#1
hu

Mich beschäftigt die Kriegsgefahr für Europa und darüber hinaus.

Jede/ r von uns beschäftigt sich in diesen Tagen mit dem Krieg in der Ukraine.

Aus Bedrückung wird Sorge wird Angst.

Wie als Humanist damit umgehen?

Was kann meine Position sein?

Kann ich überhaupt etwas bewirken?

fragt euch humano


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28.02.2022 12:37
avatar  Uhu
#2
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Uhu

Danke, Humano, für die Eröffnung dieser Diskussionsseite! Nicht nur wir beide haben vermutlich das Bedürfnis, sich über die aktuelle Entwicklung auszutauschen. Ich schlage dazu vor: Besser persönliche und kurze Mitteilungen statt Verweise auf Links zu Artikeln und Videos, und ich teile euch in diesem Sinne zwei Gedanken von mir mit, die vielleicht (bestimmt!) Anstoß erregen:

(1) Ich habe gestern die viel gerühmte Regierungserklärung von Kanzler Scholz vor dem Bundestag gehört - und hatte gar kein gutes Gefühl dabei. Sicher, es wurden wichtige und notwendige Korrekturen angekündigt, auch ich selbst war zu blauäugig gewesen. Aber warum bitte in diesem martialischen Ton: "Zeitenwende", mehrmals, - danach ist jetzt wohl alles erlaubt? Und immer wieder "Putin!, Putin!" - wäre nicht gelegentlich ein "Herr .." angebracht gewesen oder ein Bezug auf die ihn stützende Oligarchen- und Generalsclique? Und warum keinerlei Selbstkritik bezüglich der Regierungsmitverantwortung der letzten Jahre? Ja, das macht mir etwas Angst.

(2) Und nun noch etwas ganz anderes: Meine anfängliche 'klammheimliche' Stimmung war: "Liebe Russen, ihr seid ja so in der Übermacht, erledigt das schnell, damit es möglichst wenig Blutvergießen oder gar ein syrisches Szenario gibt!" - Könnt ihr das nachvollziehen? Inzwischen ist das eher einer neidvollen Bewunderung gewichen für den kämpferischen Patriotismus der Ukrainer.


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28.02.2022 19:09 (zuletzt bearbeitet: 01.03.2022 00:01)
#3
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Uhu trifft sehr genau auch meine Gedanken. Viele Menschen, gerade humanistisch denkende, waren wohl im Zwiespalt: Wo sind die Grenzen überschritten? Bis vor einigen Tagen dachte ich noch: Lohnt es sich für eine (Grenz-)Linie auf der Landkarte, für korrupte Politiker und Oligarchen, für kompromisslose Ultranationalisten - ich spreche von der Ukraine - zu sterben? Sind Friede und Vermeidung von menschlichem Leid nicht höhere Werte als Vaterland, Heldentum und Ehre? Vor 11 Jahren habe ich auf einer Konferenz von Physikern in Kiew erlebt, wie zur Eröffnung jemand auf die Bühne kam, eine flammende nationalistische Rede auf ukrainisch hielt - und lang anhaltenden stehenden Applaus bekam! Mich überkam das Grauen. Alles rationale denkende Wissenschaftler und damals schon so "programmiert"! Die Konferenzsprache war trotzdem Russisch und Englisch. Warum versuchte man, 25% der Bevölkerung, die russischstämmig ist, zu unterdrücken? Nicht nur im Osten, auch in Kiew sprach man zumindest auf der Straße überwiegend russisch!

Aber die Konfliktparteien haben uns die Beantwortung aller Fragen abgenommen. Jetzt kämpfen die Ukrainer um ihr Land, was ihnen dieselbe moralische Kraft verleiht wie sie den Russen gegeben war, als sie von Deutschland angegriffen wurden. Danach hatten diese weiterhin die Stalinsche Diktatur, und die Ukrainer werden kaum keine bessere Regierung bekommen. Ich war seit 1977 ca. 35 Mal in Russland, war am umzingelten "Weißen Haus", 2 Tage bevor es beschossen wurde, habe Familie in Moskau. Und so habe ich die fantastische wirtschaftliche Entwicklung gesehen, die unter Putin stattfand. Aber es war offenbar Blendwerk, nicht so sehr auf das Wohlergehen der Menschen gerichtet als auf die Erstarkung Russlands zur Durchsetzung hegemonialer Ansprüche. Putin hielt bisher alle seine Provokationen auf einem Level, dass ein korrigierendes Eingreifen durch den Westen gerade noch nicht möglich war, und bekanntlich waren die USA auch nicht immer die Hüter von Moral, Ordnung und Frieden. Schröder hat uns aus dem Irakkrieg herausgehalten, Merkel aus anderen Konflikten. Leider kann man jetzt nur hoffen, dass Putins eigene Umgebung ihn unter Kontrolle bekommt. Heraushalten können wir, die Deutschen, uns offenbar nicht mehr. Könnten es die Humanisten?

Die Russen und Ukrainer mochten sich gegenseitig nie besonders, das geht durch die Jahrhunderte. Wohin nationalistische Leidenschaften führen - und mir scheint, in aller Regel - ist bekannt. Aus Deutschland kriegte man dieses Gift nur durch seine völlige Niederwerfung einigermaßen heraus, aber es lauert weiterhin, sogar unmaskiert. In anderen Regionen werden noch Schlachten gefeiert, die vor Jahrhunderten stattfanden. Und nun die Schlacht um die Ukraine. War eine Autonomie für die Ostregionen wirklich unmöglich? Hätte eine "Finnlandisierung" der Ukraine das Land wirklich um seine Entwicklungschancen und um seine Sicherheit gebracht? Die Anschauung sagt etwas anderes. Die ukrainischen Nationalisten, vielleicht angestachelt von Interessen des westlichen Bündnisses, wollten diesen Weg aber nicht gehen, obwohl sie wussten, dass Putin kein Mann der Kompromisse ist. Ich tu mich schwer, hier zu entscheiden: Ein Krieg um zustehende (keine Frage!) Rechte, Ehre und Vaterland, der vielleicht auf weitere Jahrhunderte nichts bringen kann als Leid und Hass, oder Realpolitik, die das Beste aus den Kräfteverhältnissen macht, wie Österreich, Finnland oder Schweden. Aber wie gesagt, die Fragen wurden durch den Einmarsch beantwortet. Die Grenzen der Toleranz wurden überschritten.


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03.03.2022 16:48 (zuletzt bearbeitet: 03.03.2022 17:25)
avatar  humano
#4
hu

Danke Uhu und Franz Michael für eure Beiträge.

Egal ob die Menschen in der Ukraine und der Diaspora nationalistisch und katholisch sind.

Sie haben es nicht verdient ermordet und vertrieben zu werden.

Für mich sind die Menschenrechte, die Menschlichkeit und die Solidarität
höher als alle politische Ideologie, höher als jede Religion sowieso.

Wenn die Diplomatie versagt hat sollen wir dann zu schauen wie ein verbrecherischer Diktator und seine Nomenklatura
ein Land verwüstet?

Ich meine als Humanisten sollten wir auch ein praktisches Zeichen setzen, z.B. mit einer Spende.

was meint ihr?
humano


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05.03.2022 12:38
avatar  Uhu
#5
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Uhu

Ja, Humano, gespendet haben wir schon, sind auch bereit, Geflüchtete temporär zu beherbergen - aber meine Zweifel an dem von der Regierung Selensky eingeschlagenen Weg beginnen doch wieder zu wachsen. Der wiederholte Vorschlag, von der NATO eine "Flugverbotszone" durchsetzen zu lassen, lässt vermuten, dass man bereit ist, eine globale "Götterdämmerung" in Kauf zu nehmen.
Hätte es nicht von Anfang an einen "klimafreundlicheren" Weg (bewusst ironisch, aber nicht nur) zur Erhaltung der Integrität der Ukraine gegeben? Wir werden unvermeidlich am kommenden Mittwoch (9.3.) darauf zu sprechen kommen.
Dank an Franz für seinen Beitrag mit den eigenen Erfahrungen und Bewertungen dieses uralten Konflikts. Zur jetzigen schrecklichen Zuspitzung fallen mir zwei gegensätzliche Beispiele von 1939/40 ein:
(a) Polen im September 1939: Große Teile des polnischen Militärs waren offenbar überzeugt, dass sie die deutsche Kriegsmaschine kurz und klein schlagen könnten. Die erste grausige Zerstörung Warschaus war die Folge.
(b) Die Dänen haben im Jahr darauf einfach kapituliert und dabei Bedingungen ausgehandelt, unter denen sie längere Zeit effektiven passiven Widerstand leisten konnten.
Eine ironische Erinnerung daran war die dänische Glistrup-Partei, recht erfolgreich in den 70er Jahren des Kalten Kriegs mit ihrer Parole: Verteidungsetat? - Es reicht doch ein Anrufbeantworter mit der Ansage: "Wir ergeben uns"...
Auf die heutige Ukraine projeziert: Danach hätte ein Informationskrieg beginnen können, mit gewaltigen Antennen von drei Seiten, statt NATO-Raketen. (Oh weh, jetzt werde ich gleich Hiebe bekommen in den nächsten Antworten...)


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08.03.2022 19:30
#6
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Nein Uhu, keine Hiebe. Viele denken wie Du.


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09.03.2022 12:13
avatar  humano
#7
hu

Danke für eure Beiträge

Mir geht es in dieser Rubrik mehr um unsere Gedanken, Gefühle und unser persönlicher Einsatz zu diesem Krieg.

Für eine sicherheitspolitische Beurteilung dieses Krieges ist die andere Rubrik da

meint humano


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13.03.2022 14:28 (zuletzt bearbeitet: 13.03.2022 14:30)
avatar  humano
#8
hu

Ich möchte mein Thema Angst vor dem Krieg und den Begriff des Pazifismus erweitern.
Im Deutschlandfunk Kultur habe ich am Sonntag 13. März 2022 in Sein und Streit. Das Philosophiemagazin
ein Gespräch mit dem Philosophen Thomas Kater gehört.
Immanuel Kant hat sich damit befasst: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf.
Weniger bekannt ist Lida Gustava Heymann aus der Frauenbewegung.
https://www.deutschlandfunkkultur.de/thomas-kater-pazifismus-100.html
humano


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