Thomas Metzinger zu Spiritualität und intellektueller Redlichkeit
#1
Der von mir sehr geschätze Philosoph Thomas Metzinger zu Spiritualität und intellektueller Redlichkeit
In Summe ein philosophischer Vortrag über eine knappe Stunde mit einer begleitenden Präsentation mit den 3 Thesen
- Das Gegenteil von Religion ist nicht Wissenschaft, sondern Spiritualität
- Das ethische Prinzip der intellektuellen Redlichkeit kann man als einen Sonderfall der spirituellen Einstellung analysieren
- Die wissenschaftliche und die spirituelle Einstellung entstehen in ihren Reinformen aus derselben normativen Grundidee
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Wer es lieber liest
TheorPhil_Metzinger_SIR_2013.pdf
#2
Hallo Wolfgang,
Metzinger schreibt auf Seite 8 von "Spiritualität und intellektuelle Redlichkeit": <<Spiritualität ist im Kerneine epistemische Einstellung. Spirituelle Personen wollen nicht glauben, sondern wissen. Es geht um eine erfahrungsbasierte Form von Erkenntnis, die mit innerer Aufmerksamkeit, Körpererfahrung und der systematischen Kultivierung bestimmter veränderter Bewusstseinszustände zu tun hat, ...>>
Ich verstehe das so, dass Spiritualität mit der Erkenntnis (im Sinne von Wissensgewinnung) innerer Zustände ("Bewusstseinszustände") zu tun hat. Unsere inneren Zustände sind aber subjektiv, d.h. nur uns selbst (über unsere Innenpespektive) zugänglich und folglich nicht in dem selben Sinne objektivierbar wie Zustände der äußeren Welt. "Wissen" über unsere inneren Zustände ist daher nicht vollständig vergleichbar mit Wissen über Zustände der äußeren Welt.
Ähnelt dieses "Wissen" über unsere inneren Zustände - oder die inneren Zustände anderer Menschen oder Tiere - deshalb nicht mehr einem Glauben oder Fühlen als einem Wissen über Zustände der äußeren Welt?
Wie verträgt sich das mit Metzingers Behauptung, "Spirituelle Personen wollen nicht glauben, sondern wissen ..."?
Archimedes
#3
Lieber Archimedes,
danke für die Anmerkung. Ich gebe Dir Recht.
So wie ich Metzinger verstehe, geht er von einem Wunsch aus und nicht davon, dass die Spiritualität für alle Fälle und in jeder Form zur Wissensgewinnung geeignet ist. Er zweifelt m.E. auch die Erleuchtung, d. h. die umfassende Erkenntnis über den Weg der Spiritualität an.
Wenn ich ein Ziel der Zen-Meditation als einen spirituellen Weg benennen sollte, dann würde ich folgendes benennen: "Sich selbst, die eigenen Gefühle, vorbeiziehende Gedanken und die Umwelt aus einer neutralen Perspektive wahrzunehmen".
Zwei Beispiele aus eigener Erfahrung mit Zen-Meditation für dieses bewertungslose Beobachten sind:
Ich nehme zur Kenntnis, dass die Beine schmerzen, aber ich ärgere mich nicht darüber.
Ich nehme zur Kenntnis, dass ich ganz ruhig und entspannt bis, aber ich freue mich nicht darüber.
In der Zen-Meditation habe ich eigentlich den Zustand der tiefen Meditation verlassen, wenn ich anfange zu bewerten, weil ich mich dann auf die Bewertung konzentriere und Wünsche, z.B. den Zustand zu erhalten oder zu beenden, kommen hoch, Das Beobachten meiner Wahrnehmungen und Gedanken wird dadurch gestoppt.
Meines Erachtens ist reine Wissenschaft ohne Spiritualität kalt, Spiritualität ohne die Einschränkungen durch wissenschaftliche Erkenntnisse überheblich.
Dieser Satz stimmt meines Erachtens auch für die Philosophie.
Dagegen würde ich der Kunst einräumen, dass diese keine Begrenzungen durch wissenschaftliche Erkenntnisse ausgesetzt ist - außer natürlich technische Grenzen in der praktischen Umsetzung.
Wissenschaft, Philosophie und die von Metzinger beschriebene Spiritualität haben den Anspruch die Realität zu beschreiben, Kunst nicht.
Ein Artikel von Joachim Kahl mit dem Titel "Weltlich-humanistische Spiritualität – was ist das?" beschreibt einige Aspekte dazu, auch wenn ich in einigen Punkten nicht seiner Meinung bin.
Weltlich-humanistische Spiritualität – was ist das?
Wolfgang
#4
Lieber Wolfgang,
herzlichen Dank für deine eingehende Antwort und für den Hinweis auf den Text „Weltlich-humanistische Spiritualität – was ist das?“ von Joachim Kahl. Darin heißt es: „Spiritualität heißt Geistigkeit, Geistorientiertheit. Gemeint sei damit: die geistige Einstellung zum Leben, die innere Haltung zur Wirklichkeit, und zwar gemüthaft vertieft, Verstand und Gefühl umgreifend.“
Diese Definition gefällt mir schon ganz gut. Auch stimme ich Kahl zu, wenn er meint, dass spirituelle Bedürfnisse - insbesondere das Verlangen nach Sinn, Ziel, Halt, Ordnung, Trost, Mut im Leben - zur Natur des Menschen gehören, da sie dem Menschen offenbar durch die biologische Evolution in die Wiege gelegt wurden. Und ein natürliches Bedürfnis des Menschen zu leugnen, das kann eigentlich nur zu schwerwiegenden (vor allem psychischen) Problemen führen. Kahls Ausführungen zur Symbolik kann ich weniger nachvollziehen, dafür umso mehr seine Hervorhebung der Bedeutung von Kunst und Humor.
Hier ein Beispiel (eines von vielen) aus dem Bereich der Musik, das ich persönlich an vorderster Stelle mit dem Begriff Spiritualität verbinde.
Klaus-Peter
P.S. Und noch ein Beispiel, weil's so schön ist: https://www.youtube.com/watch?v=tfLyK2DV...vXUyiUg&index=1
Antwort@Wolfgang zu #1
Thomas Metzinger: Virtuelle Realität und künstliche Intelligenz – Neue Fragen für Gesetzgebung und Angewandte Ethik https://www.youtube-nocookie.com/embed/XwiM2P3xHZs
In der Einführung wird von Min. 3:20 bis etwa 8 wesentliches zu Thomas Metzinger gesagt (und zu welcher Umsetzung sich ein mir namensgleicher Rapper durch Metzingers Buch "Being No One" veranlasst sah). Ein wirklich interessanter Mann, dieser Thomas Metzinger ( ..... und nicht nur er wünschte sich den Rapvortrag etwas dynamischer , die Zeilen sind doch phänomenal)
Den kleinen Text von Seite 2 der Details und Abstracts sollte man sich auch mal anschauen: http://bit.ly/2GWEzL5;
Bei der Lecture von Thomas Metzinger handelt es sich um eine Veranstaltung im Rahmen des Schwerpunktthemas «Digital Societies» der Fellowperiode 2016–2020 am Collegium Helveticum.
Versuch (!) eines Kommentars zu den Beiträgen #1 bis 5, aber auch zu Easy63's neuem Thema, das eigentlich besser als Unterthema hier laufen sollte. (Ob das noch hinzukriegen ist?)
Meine erste Reaktion auf den von Wolfgang dankenswerterweise ausgegrabenen Metzinger-Text war abwehrend: Wieso verengt und verkürzt der Metzinger das Thema "Spiritualität" sofort auf ein 'epistemisches' Wissenwollen, um dieses dann mit der gewiss wichtigen intellektuellen Redlichkeit zur Tugend einer evidenzbasierten Wissenschaft zusammenfließen zu lassen? Will er damit nicht nur einfach einer Betrachtung in der Innen- (oder "ich"-)Perspektive ausweichen, die er ja in seinem "Ego-Tunnel"-Buch so scharfsinnig weg-erklärt?
Nein, so einfach werde ich nicht fertig mit ihm; das zeigt mir ein vorerst nur ausschnittweises Anhören des Züricher Vortrags, den Scottie ausgegraben hat. (Danke Jurate! Auch für den Hinweis auf die die biographische Einführung ab Min. 3:20 - Der Mensch ist wirklich tief eingestiegen in diese Thematik!) Geduld also...
Die Kommentare zur eigenen Auffassung von "Spiritualität" von Wolfgang, 'Archimedes', Isolde ... gehen aber trotzdem weit hinaus über Metzingers Ansatz, auch gut nachvollziehbar für mich.
ABER: Für mich bleibt diese S-Wort eher negativ besetzt. Als ob da immer ein Abdimmen der inneren Redlichkeit mit im Spiele sei. (Könnte so ein Abblenden sogar notwendig zur menschlichen Natur gehören? Und warum sollten wir es uns dann überhaupt verbieten??) Damit wir uns nun nicht zu sehr auf das S-Wort festlegen oder auf andere, verwandte, wie 'Mystik', 'Transzendenz'..., schlage ich noch einen anderen Ansatz vor: Was meinten wir eigentlich, als wir dieses Thema ziemlich einstimmig für den 12. Mai auswählten? Sicher meinten wir kein Wort, sondern eine Haltung, ein Bedürfnis dahinter: Etwas, das die Teilhabe an einer Religionsgemeinschaft den Menschen geben kann und das wir Nicht-Religiösen auch haben wollen - vielleicht sogar besser, reiner bieten können:
Warum wird eigentlich MEDITATION in diesem Zusammenhang so oft erwähnt? Sie verspricht uns (und, ach, wie schwer das ist!) ein Abdimmen dieses ewigen inneren Geschwätzes, das uns "ich"-Sager (so Ernst Tugendhat) begleitet, seitdem wir dieses so erfolgreiche situationsunabhängige Sprachvermögen entwickelt haben. Unaufhörlich kommentiert, schimpft, ängstigt oder bemitleidet sich, hofft, optimiert, optimiert!, verzagt, prahlt es da in uns - Na, wem sage ich das - oder?? Und, wahrlich, wahrlich, nicht zuletzt davon wollten/sollten uns die Religionen doch erlösen.
Also spricht der alt Uhu
Beginn einer Reaktion auf den vorangegangenen Beitrag #6
Sehr geschätzter Uhu, lieber Ferdinand
Ich möchte mir das Feld schon mal reservieren und schreibend erkunden, worin sich ganz normales Staunen und ein elementares Dürsten nach Schönheit und Erkenntis von den westlicheren Ausprägungen von Spiritualität unterscheidet .... (für östlichere Spiritualität fehlen mir die Anknüpfungspunkte gänzlich).
Nachdem ich den Film auf Arte über S. gesehen habe, kommt mir der Unterschied zwischen Religiosität und Spiritualität plötzlich beängstigend klein vor, wie ein separater Eingang in dasselbe Gebäude. Auch bei S. geht es ja um "heilige" Dinge und handelnde Verehrung ... Die spirituellen Vorstellungen scheinen mir diffuser, weiter gestreut, oft wird das Schöne darin gesucht, ebenso Trost. Verehrungsrituale und Opfergeschenke dienen als Bekräftigung der Bitte um Schutz vor Üblem, sie stellen ein Flehen um Verbundenheit, Zugehörigkeit usw. dar, verblüffend ähnlich wie bei Religion ....
Vielleicht müssen wir ja unser Vokabular überdenken und erweitern, damit erkennbar wird, ob wir die Welt aus einer Haltung von R., S. oder H. betrachten. Ich fände es fatal, wenn Humanismus im Kontrast zu R. und S. nur "kühl" und "nüchtern", "vernünftig", "abgehoben" und "streng wissenschaftlich" klänge, ohne dass Gefühlsbeteiligung, Begeisterung, Freude, Humor, Spiel .... erkennbar wäre. Metzingers Bezeichnung "Redlichkeit" ist für mich sogar sehr bezeichnend und ein Anlass, schreibend nachzuspüren und wissen zu wollen, was ich bisher noch nie in Worte fassen musste.
Tbc (to be continued) Ff (Fortsetzung folgt)
Wertes Publikum,
humano ist einer der drei Leute, die in dieses Thema einführen wollen;
ich ich Wesentlichen von der geisteswissenschaftlichen Seite.
Allgemeine Information wie immer: Wikipedia: Spiritualität
Eine eindeutige Abgrenzung von Religion/ Spiritualität und säkularem Denken finde ich im Moment nicht.
Ich möchte zunächst vorstellen:
Mario Früh (Hrsg.):
Glaube , Liebe , Hoffnung.
Religion und Spiritualität in unserer Gesellschaft
Frankfurt a.M. u.a., Büchergilde, 2006, 1. Auflage, 243 Seiten, antiquarisch
Dann finde ich Franz Josef Wetz geeignet.
Zur Einführung Wikipedia: Franz Josef Wetz
Es gab ein Streitgespräch zwischen F.J.Wetz mit einem Theologen in der Seidlvilla München 2015
als Video HVD Bayern/ HV Bayern: Spiritualität- Eine Domäne der Religionen? Dauert über zwei Stunden!
https://www.humanistische-vereinigung.de...ligionen-1.html
https://www.youtube.com/watch?v=x7Mixf556U0
Mal schauen wie weit ich mit meiner Einarbeitung komme.
Nun will auch ich mich outen , wertes Publikum, als zweiter von den drei Einführenden am 12. Mai!
Ich habe mich gleich gemeldet dazu, weil ich gerne ein paar Gedanken von Ernst Tugendhat zu diesem Thema zur Diskussion stellen würde. Wie brauchbar sie sind, wird sich dann zeigen.
Er hat für sein Buch über Egozentrik und Mystik 2005 den "Meister-Eckart-Preis" von einer gewissen Identity-Stiftung bekommen, immerhin in einer Reihe von anderen illustren Preisträgern wie Rorty, Levy-Strauss, Amartya Sen ...
Wer in den 15-seitigen PDF-Text des Vortrags schauen will, findet ihn hier im Anhang. Zur ersten Orientierung reicht auch der Anfang (Was versteht E.T. unter Mystik?) und das Ende (Was hat er mit dem Preisgeld vor?).
Ich werde dann weniger über den Vortrag referieren, sondern eher über die systematischen Überlegungen, für die er den Preis bekam.
Nachträglich habe ich jetzt ohne Problem den Anhang hochladen können. (?!) Alternativ ist aber auch der umfangreichere Link von Humano zu empfehlen, vgl. die beiden nächsten Beiträge!
Uhu Ferdinand
Hallo Uhu, meinst du das:
https://www.identity-foundation.de/image...n/tugendhat.pdf
hier Seiten 9 bis 38
Das erwähnte Buch:
Ernst Tugendhat:
Egozentrizität und Mystik.
Eine anthropologische Studie.
C. H. Beck, München 2003,
ISBN 3-406-51049-3
antiquarisch
humano
Danke, Humano, du bist ja fix! Ich hatte versucht, nur die Tugendhat-Rede alleine hochzuladen, was nicht geklappt hat.
Das Biographische Drumherum ist natürlich auch interessant, einiges davon kannte ich gar nicht.
Schön ist bei deinem Link auch, dass auf Seite 60 das Foto der japanischen Buddha-Figur zu sehen ist, auf die E.T. sich bei seinen Überlegungen zum "Gesammelt-Sein" bezieht. Man findet sie in der Buchausgabe seines Vortrags, nicht aber im PDF-Text.
Mein Koan zum Sonntag:
Vor Jahren, nein, Jahrzehnten nahm ich an einem Aikido-Kurs teil, in dem mich folgende kleine Übung beeindruckte: Ich sollte meinen Arm waagerecht ausstrecken, so fest ich konnte; der Übungspartner wurde aufgefordert ihn niederzudrücken – was ihm leicht gelang.
Nun sollte ich mir vorstellen, dass die magische Ki-Energie aus der Brust den Arm entlang zu den gestreckten Fingerspitzen herausfließe. – Beide waren wir überrascht vom Ergebnis.
Darf ein aufgeklärter, intellektuell redlicher Humanist diese Hilfsvorstellung benutzen?
Pardon, lieber Skeptiker, das hätte ich natürlich erklären müssen: für den Partner wie für mich, schien der Arm jetzt deutlich härter, stärker zu sein. (In dieser Beschreibung kommen mir gleich Assoziationen, die ich schnell wegscheuche.) Der Effekt schien mir damals reproduzierbar, aber, wie gesagt, es ist lange her. Gemeint ist natürlich die allgemeinere Frage: Dürfen wir uns einen Gott oder ein Tao vorstellen,... wenn's hilft?
#15
Vorschlag zum Treffpunkt Humanismus am 12.5.
Könnte man bei einem so vielschichtigen Begriff bzw. Wortfeld wie Spiritualität auch darüber nachdenken, welche Teilaspekte bzw. Praktiken von Spiritualität mit z.B. Humanismus oder Wissenschaftlichkeit oder Atheismus oder Religionsfreiheit bzw. der eigenen Einstellung verträglich sind.
horizontale Transzendenz (d.h. über sich hinaus in die Welt verbunden sein) ==> ja
vertikale Transzendenz (d.h. über sich hinaus zu göttlichen Wesen verbunden sein) ==> nein
Meditation zur Introspektive, Erhöhung der Sensibilität bzw. Wahrnehmung, Erreichen einer Ruhe, ... ==> ja
Meditation zur Erleuchtung, geistige Kontaktaufnahme zu einem anderen Wesen, ... ==> nein
Fasten um ......
Extase durch z.B. Tanzen, Drogen, .....
.....
Ob der vereinbare Rest dann noch als Spiritualität bezeichnet werden kann? Ob es dann wie bei den Farben Situationen gibt, wo die eine sagr, das ist grün, der andere sagt, das ist blau?
Nur so eine Idee
Wolfgang
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