Hallo wach!
#16
Noch zwei Sätze:
Warum vertrauen wir in gewissen Fragen eher unseren Geschlechtsgenossen, in anderen gerade nicht? Gendern wir beim Vertrauen?
Im TV habe ich gerade eine Sendung über die Jesuiten gesehen. Dabei sagte der rhetorisch geschulte Jesuit: Mit Vertrauen sei ursprünglich gemeint Glauben. Es gibt nichts, was die Religionen nicht für sich beanspruchen!
Danke, Ferdinand, für deinen vertrauensvollen Aufruf, der eine Menge neuen Schwung in dieses Forum brachte. Nicht nur die schriftlichen Beiträge zeigen es, auch der Treffpunkt zum Thema Vertrauen war gscheid lebhaft.
Aus vielerlei Gründen völlig fertig und ohne Vertrauen in meine nur unzulänglich funktionierende technische Ausstattung verkniff ich mir in der Anfangsrunde die eventuell provokante Behauptung: Vertrauen ist vielleicht, wenn man's trotzdem tut ....
Einst stand ich nämlich in der Ausstellung "Gut, Wahr, Schön" lange vor einem Gemälde, das Hiob in unfasslichem Elend und körperlich sichtbarer tiefster Verzweiflung zeigte. Mir scheint, die Begegnung mit der Geschichte dieser biblischen Gestalt hinterlässt zumindest eine Ahnung der Möglichkeit, dass Vertrauen uns etwas abverlangen könnte, das nicht nur angenehm, schön und hell ist.
Fasziniert von all den genannten Aspekten und Ebenen hörte ich also dem abendlichen Austausch zu und war neugierig, was dabei in mir angestoßen würde. Ganz zum Schluss, viel zu spät (!), rang ich mit dem Gefühl: irgend etwas fehlt mir hier. Es war die Rede vom Erleben enttäuschten Vertrauens und von blindem, von (häufig genug absolut lebens)notwendigem und von einer Vorstellung berechtigterer Vorhersehbarkeit oder Berechenbarkeit im Vertrauensverhältnis.
Kann es sein, dass wir speziell dann die genussvolle Seite von Vertrauen spüren, wenn andere unsere Erwartungen erfüllen respektive wir die ihren (in einer Art imaginiertem Idealfall), während Vertrauen eigentlich erst dann wirklich "greift", wenn's schwierig wird?
In mir regt sich aus aktuellem Anlass ein ganzes Bündel Fragen, und ich denke an ein kleines Gespräch vorab mit Markus, in dem ich ihn so verstand, dass Vertrauen den Menschen verletzlich macht.
Mit welcher Haltung begegnen wir dann dem möglichen, dem ebenso realistischen Fall? Das Fragenbündel muss ich ein andermal tastend betrachten und sortieren, denn der Schlaf rafft mich dahin. Vielleicht hat aber jemand mein spätes Gedankenspiel noch gehört und sieht sich in der Lage, den Faden einfühlsam weiterzuspinnen?
#18
@Franz Michael
An welche "gewissen Fragen" denkst Du wenn Du meinst, wir vertrauten in diesen Fragen eher unseren Geschlechtsgenossen? Machen wir, machst Du wirklich einen Unterschied zwischen den Geschlechtern, wenn es um Vertrauen geht, einen Unterschied der über die individuellen Eigenschaften von Menschen hinausgeht? Ich frage mich, ob es mir da auch so geht. Wenn ich darüber nachdenke fallen mir Situationen ein wie Bergsteigen oder Segeln, in denen Vertrauen etwas mit Körperkräften zu tun hat. Dachtest Du an solche Unterschiede?
Dann fällt mir noch ein, dass ich mich in einem Gerichtsverfahren, dem einzigen privaten Verfahren meines bisherigen Lebens, das ich zudem leider nicht vermeiden konnte, ganz bewusst von einer Anwältin vertreten ließ, u.a. auch deshalb, weil ich darauf spekulierte, dem Gericht auf diese Weise sympathischer zu erscheinen. Durchaus mit Erfolg. Dazu mag aber auch beigetragen haben, dass die Dame kurz davor über ein hierfür einschlägiges Thema promoviert hatte.
Erst mal Entschuldigung, dass ich unsere Diskussion wieder mal verschlafen habe. Sie fällt halt immer in die Zeit, wo mich meine Frau zum Essen ruft ...
"Gendern" beim Vertrauen. Nein ich dachte nicht ans Bergsteigen, sondern an die vor allem jungen Frauen, die sich ausschließlich anderen Frauen anvertrauen und auf deren Rat vertrauen - Freundinnen eben. Männerfreundschaften entstehen dagegen ziemlich leicht in der Sauna oder "verwandten Einrichtungen" sprich in der Szene des käuflichen Sex. Das Vertrauen kommt da wohl vor allem, dass sich jeder bzw. jede in einer ähnlichen Situation befindet und Diskretion situationsbedingt automatisch gegeben ist. Ein derartiges Vertrauen zum anderen Geschlecht zu gewinnen, ist, jedenfalls in jüngeren Jahren, mit relativ hohen Schwellen versehen, weil die sexuelle Spannung fast allgegenwärtig ist.
Vor jedem Vertrauen steht die Einschätzung, auf welchem Gebiet das Gegenüber kompetent ist. Das kann in der besten Ehe bei den Finanzen enden oder jetzt aktuell bei der Impfdiskussion, die manchmal Familien zerreißt, weil anderen mehr geglaubt bzw. vertraut wird, mit oder ohne Grund.
Schade, dass ich bei der Diskussion nicht dabei war. Denke ich zu praktisch, zu pragmatisch?
Tolle Diskussion, danke an alle, die geschrieben haben und / oder bei dem Diskussionsabend dabei waren. Und es geht ja mit "Vertrauen" noch weiter.
Um den Text nicht zu lang werden zu lassen (sonst lesen ihn viele nicht), hier nur kurze Stichwort.
Auch beim Begriff "Vertrauen" finden wir das Phänomen, dass er sehr viele Aspekte beinhaltet, weshalb ich scheinwerferlichtartig nun aufzähle:
- Vertrauen ist für mich auch Zutrauen, Zutrauen fassen in die Fähigkeit meiner Mitmenschen, z.B. beim Bergsteigen "Wird mich meine Begleitung festhalten können?"
- Zutrauen und Vertrauen in das eigene Urteil. Ich denke, dies steht am Anfang der Erkenntnis.
- Vertrauen bei Kooperation: Es ist wohl so, dass echte Kooperation nur funktioniert, wenn alle Beteiligten davon überzeugt sind (darauf vertrauen), dass alle übrigen Menschen ebenfalls kooperieren werden, d.h. den Eigennutzen zum Wohle des Gruppennutzens hinten anstellen.
- Vertrauen auf Normen: Bei der Begegnung von anderen Menschen (egal wo) vertrauen wir darauf, dass mein Gegenüber sich ebenfalls gemäß gewisser, vorher nicht bestimmter, daher unausgesprochener Normen verhalten wird. Beispiel: Beim Einkaufen werde ich von dem Menschen an der Kasse nicht umgebracht usw.
Und all dies Gesagte (und von anderen auch Geschriebene resp. Gesagte) führt mich zu der Aussage, dass wir Menschen eben mit einer Vielzahl von Grundannahmen durch das Leben gehen (und darauf vertrauen, dass diese gültig sind), dies trifft auf physikalische, chemische Gesetzmäßigkeiten zu aber eben auch Normen. Vertrauen steht immer in Bezug auf etwas, ich vertraue auf meinen Freund, der wird die Erwartung von mir, wie er sich wohl verhalten wird, erfüllen. Vertrauen ist graduell, jede Bestätigung meiner Erwartungshaltung bestärkt mein Vertrauen, jeder Verstoß gegen die Erwartung (sollte) das Vertrauen nur graduell vermindern, nicht gleich völlig zerstören (außer es ist ein existenzieller Vorfall).
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