Vor-Einstimmung auf das Diskussionsthema (Willensfreiheit)
Hehe, ihr zwei Automaten, welche die vorhergehenden Beiträge erzeugten, wolltet ihr mich gar provozieren?! Wolltet? Nein, ihr musstet ja wohl, darum trage ich es euch auch nicht nach.
Ah, könntet ihr euch nur einfühlen in ein Wesen wie mich, aus lebenden Zellen aufgebaut, nicht wie ihr aus Halbleiterelementen, die auf möglichst fehlerfreies Funktionieren getrimmt wurden. Ja, dann erst könntet ihr die kleine Freude nachvollziehen, die ich empfinde beim Komponieren dieser Antwort. Immer wieder tun sich Spielräume auf, Alternativen, ob ich dieses Wort wähle oder ein anderes, ob ich den Satz besser noch einmal umstelle oder... Aber ach, ich predige ja nur Blinden! Ich weiss schon, euer Programm zwingt euch nun, zu "denken" (?!): Was der alte Uhu da nun wieder für groteske Argumente erfindet, um sein Ego zu stärken... (Stimmt's?)
Ferdinand
#17
Hi Felix, dem stimme ich gerne zu!
Die Idee einer Willensfreiheit, die es uns erlaubt, den Menschen Verantwortung für ihr Handeln zuzuweisen, werden die Menschen wohl niemals aufgeben (können), obwohl diese Idee dem konsequenten Naturalismus logisch widerspricht, weil eine menschliche Gesellschaft ohne die Zuweisung von Verantwortung wohl undenkbar (instabil) wäre.
Archimedes
#18
Lieber Ferdinand,
die Vorstellung, dass Menschen Automaten in Sinne der Automatentheorie seien, verstört die allermeisten Menschen und fügt ihnen eine schwere Kränkung im Sinne Freuds zu. Dabei sehe ich diese Behauptung weniger als eine Kränkung für uns Menschen an, mehr als ein Zeichen des Respekts vor sehr komplexen Automaten, d.h. vor Systemen mit einer sehr großen Zahl möglicher innerer Zustände, die auf äußere Einflüsse in (für uns alle sehr schwer durchschaubarer) Abhägigkeit von ihren jeweiligen inneren Zuständen reagieren und auf diese Weise auch selbständig agieren. Mich wundert es eigentlich nicht, dass solche Automaten über eine Innenperspektive verfügen, die es ihnen erlaubt, sich und anderen Menschen Verantwortung für ihr Handeln zuzuweisen. Was denkst Du?
Archimedes alias Klaus-Peter
Lieber Archimedes-alias-Klaus-Peter! (aber auch zu Felix & Co. passt es)
Nun habe ich lange nicht in die Freiheits-Schublade geschaut, sorry, es wär doch schade, dieses Thema ganz einschlafen zu lassen. Ein Vorteil ist jetzt allerdings, dass ich inzwischen beim Bearbeiten des Spritualitäts-Themas wieder in Metzingers “Ego-Tunnel‟ herumgelesen habe. Er hat ja dein Bild, Archimedes, vom hochkomplexen Automaten in unserem Kopf sehr scharfsinnig weitergedacht. Und – was finde ich da auf Seite 191 unten (+ Folgeseite)?
“Das erste der beiden dümmsten Argumente für die Freiheit des Willens lautet: 'Ich weiß doch, dass ich frei bin, weil ich mich selbst als frei erlebe.' Nun, wir erleben die Welt auch so, als sei sie voller farbiger Gegenstände...‟ - Armer Uhu, das geht frontal gegen mich! Nun aber auch etwas für euch:
“Das zweite Argument lautet: 'Aber das hätte schreckliche Folgen, deshalb kann es nicht wahr sein.' Ich teile diese Besorgnis durchaus ...‟ - was doch immerhin tröstlich ist..
Wie gehe ich nun um mit dieser metzingerschen Kränkung ? Die Auflösung liegt für mich schon in seinem Beispiel mit der Farbwahrnehmung – ihr ahnt ja, wie's weiter geht: Das sind doch in Wirklichkeit nur “Wellenlängenmischungen der verschiedenen Art‟. Für die Tonempfindung gilt das dann natürlich entsprechend. Heute Nachmittag wollte ich mich mit einem Freund über ein Musikstück unterhalten, für das er schwärmt – sollte ich das jetzt lieber absagen?
Zurück zur Freiheit: Im kurzen Vorspann einer vom Nürnberger HV angebotenen 'Einführung in den Humanismus' lese ich: “Wir können uns für das moralisch Richtige entscheiden und dementsprechend handeln – wir sind frei und haben die Wahl!‟ (kursive Worte so im Original) – An welche von den beiden dümmsten Begründungen wird der Verfasser wohl gedacht haben??
Klugerweise hat er nicht großkotzig behauptet: “Der Mensch ist frei “ u.s.w., vielmehr ist da nur von 'wir' die Rede, von dir und mir also, die wir oft eine gleichartige subjektive Erfahrung machen: Wir wissen um einen Spielraum von Alternativen, wenn wir etwas möglichst gut hinkriegen wollen (“gut‟ im technischen wie auch im moralischen Sinn). Sollen und wollen wir das wirklich ganz ausklammern aus dem Umgang miteinander (und mit uns selbst) und kurzerhand wegerklären: “Alles nur Illusion!‟ ?
Ich will es nicht, der Verfasser will es nicht, ihr vermutlich auch nicht.
Wenn das stimmt, dann müssten wir uns von Metzingers Monismus verabschieden, zu dem er sich explizit bekennt (auf S. 218 seines Ego-Tunnels): Es gibt nur eine für uns relevante Wirklichkeit, nämlich die der naturwissenschaftlich evidenten Tatsachen.
Sollten wir dann vielleicht die – hochrelevante! – Wirklichkeit unseres Umgangs miteinander (und mit uns selbst) komplementär zu jener anderen verstehen? Da wird's schwierig – und interessant. Sicher sind diese Wirklichkeiten nicht ganz unabhängig von einander. Ein Menschenhirn z.B., das genau nach dem Muster einer hochkomplexen und hoch-determinierten Rechner-Hardware arbeitet, wäre mit meiner Freiheitserfahrung nicht vereinbar. Mit eurer?? Dankbar nehme ich auf, wenn in einschlägigen Aufsätzen von einem angemessen unscharfen Determinismus (adequate determinism oder auch soft causality) in biologischen Systemen gesprochen wird.
Ups, das ist jetzt etwas lang geworden … Ferdinand
#20
Ja, lieber Ferdinand, und ich fürchte, meine Antwort könnte noch länger werden! Außerdem brauche ich dafür etwas Zeit. Deshalb hier nur kurz: Ich komme gut klar damit, dass ich zu wissen meine, dass wir keine freie Wahl haben, denn das entlastet mich ja auch sehr. Wir können uns und unseren Mitmenschen viel leichter vergeben, wenn wir zu wissen meinen, dass wir keine freie Wahl haben.
Gleichzeit meine ich aber auch (vermutlich gemeinsam mit Dir) zu wissen, dass unsere Gesellschaft eine ganz und gar andere (und vermutlich keine bessere!) wäre, wenn wir im Alltag konsequent in dem Bewusstsein handelten, keine freie Wahl zu haben, weil wir uns selbst und andere dann NICHT für unsere Zusagen verantwortlich machen könnten. Wie könnten wir einander noch vetrauen, wenn keiner und keine von uns verantwortlich wäre?
Deshalb meine ich, dass wir (alle miteinander, ohne Ausnahme) im Alltag unserem Handeln ein "intentionales Wirklichkeitsmodell" zugrunde legen, in dem wir durchaus (wenigstens ab und zu) eine freie Wahl haben. Dieses für uns alle überlebenwichtige "intentionale Wirklichkeitsmodell" ist zwar mit dem konsequenten Naturalismus unvereinbar, aber das müssen wir akzeptieren.
Lieber Klaus-Peter,
zur Klärung möchte ich kurz ergänzend nachtragen, dass ich auch in meiner Freiheitsauffassung vergangene Taten oder Untaten gut vergeben kann, sei es mir selbst oder einem anderen: Mit einiger Übung fällt es leicht, dafür in die Beobachter-Perspektive überzugehen. Im aktuellen wachen Handeln scheint mir das im Regelfall unmöglich, Ausnahmen dürften flow-Zustände und Drogenrausch sein.
Dein intentionales und naturalistisches Wirklichkeitsmodell scheinen mir weitgehend zusammenzufallen mit dem, was ich als 1.Person- und 3.Person-Perspektive kenne.
Lieber Ferdinand,
Du schreibst: „Dein intentionales und naturalistisches Wirklichkeitsmodell scheinen mir weitgehend zusammenzufallen mit dem, was ich als 1.Person- und 3.Person-Perspektive kenne.“
Ich meine: Das ist nicht ganz falsch, aber ich habe diese Begriffe bewusst nicht gewählt, weil ich
a) die beiden Perspektiven als verschiedene Sichtweisen innerhalb einer „projektiven“ Erkenntnistheorie (im Sinne G. Vollmers) verstehe,
und
b) dagegen den ontologischen Aspekt betonen möchte, dass unsere Erkenntnis immer auch mit einer aktiven Konstruktion von Modellen (d.h. u.a. auch von „Ontologien“) für die Wirklichkeit (d.h. für die externe Realität, die unabhängig von uns existiert) verbunden ist.
Dabei lege ich selbstverständlich allergrößten Wert darauf, nicht für einen (radikalen) Konstruktivisten gehalten zu werden, denn Konstruktivisten behaupten, die externe Realität gäbe es gar nicht, weil jede Realität erst von uns individuell oder gesellschaftlich konstruiert wird. Ich bin dagegen ein hypothetischer Realist (im Sinne G. Vollmers), der sich allerdings sehr bewusst ist, dass wir immer nur über unsere Modelle der Realität sprechen können, niemals über die Realität selbst, die uns nur über unsere Modelle und über die Methode des kritischen Rationalismus zugänglich ist.
Außerdem kann man innerhalb des intentionalen Wirklichkeitsmodells durchaus Perspektiven mehrerer Personen gleichzeitig einnehmen, sogar die unpersönliche Außenperspektive. Entscheidend scheint mir zu sein, dass Entscheidungen im intentionalen Wirklichkeitsmodell auf GRÜNDEN basieren. Im naturalistischen Wirklichkeitsmodell basieren Entscheidungen dagegen auf Kausalketten von URSACHEN, die uns allerdings nicht direkt zugänglich sind, weil diese Ursachen Mikrozuständen entsprechen, wogegen uns (d.h. unserem Bewusstsein) immer nur Makrozustände zugänglich sind, die einer sehr großen Zahl W von möglichen Mikrozuständen entsprechen.
(Nebenbei: Die Größe S = k * log W nennen wir – wie Du als Physiker natürlich weißt - die Entropie dieses Makrozustands, wobei k die Boltzmann-Konstante ist und log der natürliche Logarithmus)
#24
Lieber Uhu, keine Sorge. So etwas würden weder Archimedes noch Klaus-Peter jemals sagen. Das wäre ja ein klassischer Kategorienfehler. Personen verwenden Modelle zum Verständnis der Realität , sie sind keine Modelle. So ähnlich, wie es ja "nachts" auch nicht kälter sein kann als "draußen". :-)
Lieber Archimedes, zerknirscht gestehe ich meinen Kategorienfehler ein!
Gleichwohl müssen wir, in Fleisch und Blut, doch nun einmal Stellung nehmen zu dem Ex-Cathedra-Satz: "Wir sind frei und haben die Wahl." Ich hoffe, dich mit einem "Heureka" aus der Wanne springen zu sehen - aber auch andere Leserinnen und Leser sind aufgerufen zu einem Kommentar.
Uhu
#26
Lieber Uhu, Du hast keinen Grund, zerknirscht zu sein, denn DU hast ja keinen Kategorienfehler begangen! Du hast lediglich die Möglichkeit („WENN er eines Tages …“) in Betracht gezogen, dass Archimedes oder Klaus-Peter diesen Kategorienfehler begehen KÖNNTEN!
Im Übrigen hat Archimedes Dir die begehrte Stellungnahme längst geschrieben; Du hast sie offenbar bisher nicht ernst genommen. Hier nochmal in äußerster Kürze:
1. Alle Menschen verwenden zur alltäglichen Lebensbewältigung ein intentionales Wirklichkeitsmodell, mit dem die biologische Evolution uns alle ausgestattet hat. Ohne dieses angeborene Wirklichkeitsmodell können wir, kann die menschliche Gesellschaft im Alltag nicht zurechtkommen. In diesem uns allen angeborenen intentionalen Wirklichkeitsmodell haben wir einen Willen und GRÜNDE, auf denen dieser Wille basiert, und die allermeisten von uns empfinden diesen Willen zumindest ab und zu als „frei“.
2. Viele Menschen verwenden (aus guten Gründen) neben diesem uns allen angeborenen intentionalen Wirklichkeitsmodell noch ein naturalistisches Wirklichkeitsmodell, das ein Ergebnis der kulturellen Evolution ist. In diesem naturalistischen Wirklichkeitsmodell gibt es keine Gründe und keinen Willen, sondern nur (zufalls-)gesetzmäßige Kausalketten von URSACHEN, aus denen sich unser Handeln in (zufalls-)gesetzmäßiger Weise ergibt. Und wo es keinen Willen gibt, da kann der Wille auch nicht „frei“ sein.
3. Diejenigen Menschen, die beide Wirklichkeitsmodelle nebeneinander verwenden, ohne sich wirklich bewusst zu sein, dass jedes dieser beiden Wirklichkeitsmodelle eigentlich auf seinen jeweiligen Anwendungsbereich beschränkt ist, wundern sich selbstverständlich darüber, dass beide Wirklichkeitsmodelle sich widersprechen und suchen (seit Jahrhunderten) nach einer Auflösung dieses Widerspruchs.
Archimedes meint, dass diese Suche aus den unter (1.) und (2.) genannten Gründen vergeblich ist.
Lieber Archimedes, ja, ich denke, wir verstehen uns.
Ich würde mich damit auch gerne, mit Verlaub, aus dieser Nachbesinnung zur Voreinstimmung auf das Freiheitsthema verabschieden und nur noch einen kleinen erfundenen Dialog anhängen, der mein Unbehagen an einer bestimmten Art von Antworten auf die Freiheits-Gretchenfrage beschreiben soll:
Grete: "Nun sag doch, Egon, liebst du mir wirklich?"
Egon: "Ach Gretchen, du weeßt doch, wie wir Männer so sind. Die Biologie beweist ja, dass wir das brauchen! Und dann die Chemie ... die stimmt doch zwischen uns, oda?"
Grete: "Gewiss, Egon, wenn du das so sagst..."
Armes Gretchen! (Was auch wieder auf mehr als eine Weise interpretierbar ist.)
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