Vor-Einstimmung auf das Diskussionsthema (Willensfreiheit)

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11.03.2021 21:43 (zuletzt bearbeitet: 02.04.2021 15:50)
avatar  Uhu
#1
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Uhu

Willensfreiheit

Ohne Christoph, auf dessen Einführung wir schon sehr gespannt sind, die Butter vom Brot zu nehmen, könnten wir uns einmal selbst befragen zu einigen Aspekten dieses Jahrtausende alten Themas. Hier fünf Fragen (andere könnten angefügt werden):

(1) Kannst du Situationen benennen, in denen du genau weißt (fühlst?), dass du "frei" entscheidest? (Fälle, in denen wir ahnen, dass "irgendetwas" in uns entschied, kennen wir alle; die sind nicht so interessant, finde ich.)
(2) Was fändest du persönlich schön, was schrecklich an einem Fatalismus der Art: "Es läuft halt, wie es gesetzlich laufen muss(te)"?
(3) Beunruhigt oder beruhigt dich die Vorstellung, dass in deinem Denken und Handeln der Zufall eine wichtige Rolle spielen könnte?
(4) Wenn du meinst, dass Willensfreiheit nur ein Gefühl ist, das manche deiner Handlungen begleitet: Was genau fühlst du da? (Auch wenn es nicht einfach ist, müsste das doch beschreibbar sein. Zu bedenken ist dabei, dass wir das Wort 'Fühlen' oft für Sinnesempfindungen und für unklares Wissen verwenden; beides kann hier nicht gemeint sein.)
(5) Welche Vorstellung verträgt sich besser mit deinem humanistischen Weltbild: dass ein nicht durch die Umstände festgelegtes Entscheiden möglich ist - oder unmöglich? Oder hätte das gar keinen Einfluss auf dein Weltbild?

Ferdinand

Hier ist meine Antwort auf meine Frage (1) – nachträglich eingefügt, auch nach dem Beitrag (#2) von Christoph (nimmt aber nicht Bezug auf ihn, ergänzt ihn vielleicht).

Während ich diese (diese!) Zeilen tippe, weiß ich nur ungefähr, wie der Satz weiter gehen soll; erst beim Schreiben entscheide ich die nächsten Wörter, gehe oft auch zurück, korrigiere oder ersetze sie. Der Text soll meine Gedanken möglichst klar wiedergeben und dabei kurz und treffend sein, möglichst GUT eben. Und ich weiß, dass es mir nur näherungsweise gelingen wird, wie gut, das liegt an MIR.
Meine Freiheit besteht also in dem kleinen Spielraum, den ich habe, meine Einfälle zu wählen oder zu verwerfen. Diese Einfälle haben notwendig ein Zufallselement (was schon Frage 3 beantwortet).

Ich kenne Menschen die so einen kleinen Text perfekt im Kopf vorformulieren und dann ohne Zögern eintippen oder diktieren würden; das schaffe ich nicht. Ihre kleinen Spielräume liegen dann wohl beim inneren Ausformulieren, oft vielleicht kaum wahrgenommen.

Ein zu banales Beispiel für das große Thema “Willensfreiheit‟? Nein, das finde ich nicht: Große Entscheidungen bauen sich auf (oder bereiten sich vor) aus vielen kleinen. Und das, was ich oben als GUT bezeichnet habe, wird dabei natürlich auch eine fortwährende Nachjustierung erfahren.


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17.03.2021 19:39
#2
Ch

Spannende Fragen! Sie gehen auch das Thema von ganz anderer Seite an. Psychologie wird im Vortrag selbst leider keine Rolle spielen. Da kenne ich mich einfach nicht aus. Mit Hirnforschung dagegen musste ich mich notgedrungen beschäftigen, da das Thema aktuell meist in neurologischem Kontext diskutiert wird.
Ich habe mich übrigens gerade vorher entschieden, den logisch-formalen Teil wegzulassen (das "Konsequenzargument" nach Peter van Inwagen). Den kann ich ja bei Interesse ins Forum stellen.

Meine spontanen Antworten: auf die Fragen:
(1) & (4) Ja, das Wort 'Fühlen' ist problematisch. Dass ich frei entscheide, ist für mich eher eine neutrale Grundannahme, die alles Handeln begleitet. Es ist sicher keine Emotion wie Freude oder Ärger, eigentlich gar nichts Positives. Das hat viele Philosophen (Hume, Schopenhauer,...) dazu geführt, Freiheit nur NEGATIV zu fassen: Ich bin frei, wenn mich nichts daran HINDERT, eine getroffene Entscheidung auch auszuführen. Das wäre mit dem Determinismus vereinbar.

(2) Einen Fatalismus dieser Art fände ich beruhigend. Wenn "mein Hirn für mich" entscheiden würde, dann wäre ich nicht verantwortlich, für das, was ich tue. Nietzsche hat so etwas vertreten, und mit ihm geht es auch los. Leider lag er i.m.A, halt falsch.

(3) Ich weiß leider nicht, was hier mit "Zufall" gemeint ist. Freiheit wie ich sie verstehe, ist eben NICHT zufällig, und ein Determinismus erst recht nicht. Zufällig könnte ich mich an einer zerbrochenen Flasche schneiden, und dann wäre mein Ärger wohl DETERMINIERT, aber ich hätte gute GRÜNDE, die Scherben aufzukehren. (Eine sehr spannende Frage ist übrigens, ob ein Determinismus überhaupt mit der Quantenphysik vereinbar ist. Ich konnte das nicht herausfinden, auch in einem Gespräch mit einem Physiker nicht. Er vermutet aber, dass das Konzept "Determinismus" mit dem "objektiven Zufall" der Quantenwelt hinfällig geworden ist.)

(5) Sicher sind alle Menschen durch ihre Umstände (Körper, Umwelt, Kultur, etc.) GEPRÄGT. Selbst wenn sie dadurch noch nicht FESTGELEGT sind, kann diese Einsicht schon zu mehr Nachsicht führen. Aber ist das dann schon in irgendeiner Weise "humanistisch" oder einfach nur selbstverständlich?

Christoph


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18.03.2021 18:18
#3
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Wolf Singer und der freie Wille - Konsequenzen der Nichtexistenz des FW für Menschenbild, Schuld, Demokratie und Menschenwürde

https://www.spiegel.de/politik/das-falsche-rot-der-rose-a-817b363e-0002-0001-0000-000018166285

Hier ein kurzer Auszug aus dem inzwischen 20 Jahre alten Interview

SPIEGEL: Ihre Zweifel am freien Willen des Menschen haben auch etwas Gespenstisches an sich: Würde sich, wenn sich diese Vorstellung durchsetzt, unser Menschenbild nicht völlig verändern?

Singer: Sicherlich, nur wäre das Menschenbild, das dabei entstünde, nicht ein gespenstisches, sondern ein im Vergleich zum heutigen vermutlich humaneres. Im vergangenen Jahrhundert wurden viele abnorme Hirnzustände entmystifiziert. Man hat zum Beispiel gelernt, dass Epilepsie keine Besessenheit ist, sondern einfach eine Entgleisung von Hirnstoffwechselprozessen. Zu ähnlichen Schlüssen werden wir auch im Hinblick auf abnorme Verhaltensweisen kommen. Nämlich dass es Störungen im Gehirn geben kann, die Menschen zu unangepasstem Verhalten veranlassen.

SPIEGEL: Aus Ihrer Vorstellung von der Nichtexistenz eines freien Willens folgen auch rechtliche Überlegungen: Der Mensch wäre nicht mehr verantwortlich für sein Tun. Müssen Sie dann nicht das Prinzip von Schuld und Sühne über Bord werfen?

Singer: Ja, ich halte dieses Prinzip für verzichtbar. An unserem Verhalten würde sich auch gar nicht viel ändern: Wir würden nach wie vor unsere Kinder erziehen, weil wir wüssten, dass wir ihnen und der Gesellschaft durch Erlernen sozialen Verhaltens das Leben erleichtern.

SPIEGEL: Aber ist dann nicht jede psychiatrische Feststellung von Schuldfähigkeit unsinnig, wenn man sowieso unterstellt, dass niemand schuldfähig ist?

Singer: Richtig. Unsere Sichtweise von Übeltätern würde sich eben ändern müssen. Man würde sagen: »Dieser arme Mensch hat Pech gehabt. Er ist am Endpunkt der Normalverteilung angelangt.« Ob nun aus genetischen Gründen oder aus Gründen der Erziehung, die gleich mächtig in die Programmierung von Hirnfunktionen eingehen, ist unerheblich. Ein kaltblütiger Mörder hat eben das Pech, eine so niedrige Tötungsschwelle zu haben.

Das heißt natürlich nicht, dass man deshalb tatenlos zusehen sollte. Natürlich muss die Gesellschaft reagieren: Einmal muss versucht werden, seine Hemmschwelle anzuheben, also Schulungs- oder Therapieprogramme anzuwenden. Außerdem muss sich die Gesellschaft vor gefährlichen Mitmenschen schützen, indem sie deren Freiraum begrenzt. Auch das Strafmaß bliebe variabel, man würde allerdings nicht mehr vom »Strafmaß« sprechen, sondern vom »Verwahrungsmaß« oder »Schutzmaß«. Es müsste sich nach der Schwere der Normverletzung richten, aber auch danach, wie niedrig die Schwelle zum Fehlverhalten eingeschätzt wird.

SPIEGEL: Demokratie und Aufklärung basieren auf der Idee eines freien Menschen. Stellen Sie nicht all das in Frage, wenn Sie nun plötzlich behaupten: Alles bloße Illusion, was die sich in der Französischen Revolution ausgedacht haben?

Singer: Überhaupt nicht. Dass wir uns Freiheit zugestehen, ist eine Realität. Sie ist zwar nur aus der eigenen subjektiven Perspektive heraus erfahrbar. Aber das hat sie mit anderen kulturellen Realitäten gemein. Mit Wertesystemen verhält es sich genauso. Wie real diese Konstrukte sind, lässt sich aus ihrer Wirksamkeit schließen, etwa bei der Französischen Revolution.

SPIEGEL: Wenn der Einzelne keinen freien Willen besitzt, wo verankern wir dann die Menschenwürde?

Singer: Vielleicht entsteht eine ganz andere Vorstellung von Würde. Wir kämen durch die Aufgabe dieses unverbrüchlichen, aber auch mit sehr viel Selbstbewusstsein und gelegentlich Arroganz behafteten Freiheitsbegriffes wohl zu einer demütigeren, toleranteren Haltung - einer weniger rechthaberischen Attitüde, weil wir vieles relativieren müssten, auch unser eigenes apodiktisches Tun. Wir müssten uns als in die Welt geworfene Wesen betrachten, die wissen, dass sie ständig Illusionen erliegen und keine wirklich stimmigen Erklärungen über ihr Sein, ihre Herkunft und noch viel weniger über ihre Zukunft abgeben können.


Das ganze Interview steht online zur Verfügung


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18.03.2021 21:32
avatar  Felix
#4
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"(Eine sehr spannende Frage ist übrigens, ob ein Determinismus überhaupt mit der Quantenphysik vereinbar ist. Ich konnte das nicht herausfinden, auch in einem Gespräch mit einem Physiker nicht. Er vermutet aber, dass das Konzept "Determinismus" mit dem "objektiven Zufall" der Quantenwelt hinfällig geworden ist.)"

….wieso soll „das Konzept "Determinismus" mit dem "objektiven Zufall" der Quantenwelt hinfällig" werden können?
Entscheidender Gesichtspunkt des Determinismus ist doch die Nichtexistenz eines freien Willens.
Wenn quantenphysikalische Zufälle mein Denken und Handeln maßgeblich beeinflussen könnten, dann liefe dies ja der Entfaltung eines freien Willens ebenfalls zuwider. Dies würde das Konzept des Determinismus doch eher bestärken?
Auch Zufall determiniert. Wenn auch in nicht kalkulierbarer Weise.


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19.03.2021 18:32
avatar  Uhu
#5
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Uhu

zu Wolf S. und Wolfgang:
Die interviewende Person vom SPIEGEL macht es mit ihrem plakativen Begriff vom "freien Willen" Herrn Singer leicht, seine Position offensiv zu vertreten. Natürlich wollen wir gerne das vielfach belastete und belastende "Schuld"-Konzept überwinden - aber auch die Verantwortung und den Appell an das individuelle: "Es liegt jetzt an dir!" ? Singers Vision scheint damals noch eine Art Human Engineering zu sein, es kann aber sein, dass er inzwischen davon abgerückt ist.

zu Felix:
Ich verstehe dich so, dass du meinst: Das Zulassen eines objektiven Zufalls in den Naturgesetzen nützt der klassischen Position der Willensfreiheit gar nix, denn das akausal eingreifende Ich möchte ja nicht würfeln, sondern rational nach Gründen entscheiden. Da hast du sicher Recht. Aber "Determinismus" sollten wir das dann doch nicht mehr nennen, Naturalismus vielleicht oder Physikalismus.
Da ich für meine private Konzeption von Willensfreiheit (s. Ergänzung im Beitrag #1) eine Beimischung von etwas Unbestimmtheit brauche, hat mich die Frage immer interessiert, ob die Quantenphysik das liefert. Leider gar nicht eindeutig; Falls z.B. konsequenterweise das ganze Universum als ein Quantenzustand verstanden werden kann, scheinen sich die Unbestimmtheiten zu verflüchtigen. Aber gelten überhaupt Quanten- und Allg. Relativitätstheorie, die einander ja gar nicht mögen, bis in diese Dimensionen? Da ist noch sehr viel offen. ..
Ferdinand


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21.03.2021 11:37
avatar  Felix
#6
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Lieber Ferdinand,

danke für den Hinweis. Ich habe mich unpräzise ausgedrückt:
Ich bin Naturalist bzw. Inkompatibilist im Sinne des harten Determinismus.


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22.03.2021 23:04 (zuletzt bearbeitet: 02.04.2021 15:49)
avatar  Xerxes
#7
Xe

Determinismus oder freier Wille

Als Wolfgang uns vor einiger Zeit von seinen Gedanken bei einem Langlaufausflug erzählte, entstand in mir so eigenartiges Bild, ich sah ihn da sitzen und Brotzeit machen und von all den Dingen, von denen er erzählte, gingen spinnwebfeine Fäden zu ihm. Das Bild war anheimelnd, aber auch ein bisschen gespenstisch – Wolfgang, der da so zufrieden sitzt und nachdenkt, ist völlig verankert und verbunden mit all dem, was die Ursache dafür ist, dass er an diesem Ort sitzt und nicht in München vor dem PC. Er wirkt eingebunden – ja, aber auch unfrei. Kann er sich frei machen, wenn er aufsteht, ist er dann frei? Ist das eine freier Wille? Will er nur aufstehen, um zu beweisen, dass er jetzt aufstehen kann, weil er es will? Steht er auf, weil Isolde wartet oder er noch einen Termin hat, der ihm gerade einfällt? Kann er überhaupt aufstehen, ohne dass etwas „dahinter“ steht? Kann man überhaupt einen „freien Willen“ haben? Und wie ist diese Freiheit definiert?
Im Makrokosmos gibt es keine Zufälle, ein scheinbarer Zufall ohne Kausalität ist im Makrokosmos noch nie beobachtet worden. Das heißt, wie zufällig uns eine Entscheidung oder eine Information auch erscheinen mag, sie beruht auf einer Ursache, Kausalität bedingt unsere Handlungen, unser Leben.
Wir sind Subjekte, gewiss, aber in der Welt sind wir Objekte der anderen und der Umstände. Wir sind so sehr durch genetische Wurzeln und das, was pausenlos in der Welt passiert, bedingt, und wir bedingen durch unser Handeln auch wiederum andere. Ein Eremit, der so ganz allein in seiner Höhle sitzt, ist nicht frei. Seine Situation und seine Lage sind das Ergebnis seiner Entscheidung, die aber kein Zufall ist, auch wenn es ihm vielleicht so vorkam, sie war vorbereitet und abrufbar irgendwann in seiner gelebten Zeit davor. Vielleicht überspringen diese Ursachen auch Generationen – man kennt das Phänomen der erhöhten Selbstmordrate unter den Nachkommen der Überlebenden des Holocaust, auch in späteren Generationen.
Und wenn ich was mache, was ganz Verrücktes und damit beweisen will, dass ich frei bin, dann ist das auch nur die Folge von früheren Erlebnissen, Büchern oder der ererbten Veranlagung oder der momentanen Lust am Widerspruch.
Und die Entropie, die unser Leben immer vielfältiger verknüpft und damit immer unkontrollierbarer macht, was unsere Suche nach dem Grund unserer Gedanken und der daraus folgenden Taten erschwert, diese Entropie nimmt zu - die Kausalität wird größer. Unsere Wahl wird direkt oder indirekt, bewusst oder unbewusst von immer mehr Faktoren beeinflusst. Daher das gespenstische Bild des irgendwie vereinnahmten Wolfgang – vereinnahmt durch sich selbst und die Welt – der da so frei und unabhängig die Situation zu genießen scheint.
Ich bin bedingt, also nicht frei, aber ich habe die Wahl unter Optionen, die sich mir anbieten. Was ist wähle, hängt wiederum von Ort, Zeit, Wärme, Kälte, Heimat, Gesundheit und Stimmung usw. ab
Wir alle müssen diese totale Bedingtheit ertragen und wollen unser Leben durch kluges Wählen gut gestalten. Aber die Optionen, das sei nicht vergessen, liegen nicht unserer Hand, nur ein kleiner Teil davon – vielleicht. Das ist das Maximum an freiem Willen, das ich haben kann.
Bei „Determinismus“ finde ich die Erklärung komplizierter, denn Determinismus setzt für mich etwas voraus, was außerhalb unseres Systems, also unserer erfahrbaren Welt liegt. Determinismus setzt ein System voraus, das sich von unserer Welt, unserem System, in mindestens einem Punkt wesentlich unterscheidet – es hat Macht über uns.
Und mit dieser Macht determiniert es uns. Wir sind in diesem System durchgeplant, fertiggestellt, Marionetten, denen man die Illusion des freien Willens lässt.
Wie kommt man auf den Begriff „Determination“? Es begann vielleicht mit der Angst des Menschen, dass jemand stärker ist als sie und sie vernichten kann durch Blitz und Donner, durch Flut und Dürre, durch das Schicken von Heuschrecken, durch Pandemien und unerklärliche Unfälle.
Wir erinnern uns daran, dass ich in einem riesigen Geflecht verankert bin und damit auch limitiert bin, also nur das denken kann, was in mir und in der Welt vorhanden ist. Ich kann nicht von außen auf die Welt schauen, das ist uns Menschen nicht gegeben.
Was denkt also ein Urzeit-Mensch bei Blitz, Sturm, Flut und ähnlichem? Er sieht keine Person dahinter, aber es muss doch eine Ursache geben. Da kommt der Gott-Gedanke ins Spiel, auch die Dämonen haben hier ihren Ursprung.
Es wird also jemand/etwas angenommen, das mächtiger ist als ich, der Mensch, jemand, der oder das alles weiß - wichtige Attribute, die die Christen z.B. ihrem Gott zusprechen: Er ist allmächtig und allwissend. Wir verwenden dabei Termini, die wir gar nicht begreifen, weil wir „allwissend“ nicht verstehen können, das liegt außerhalb von uns und unserem System. Wir können viele Phänomene unserer Welt mittlerweile erklären, viele sind uns noch nicht erfahrbar, auch wenn man sie schon berechnen kann:
Beispiel: Die Mathematiker und theoretischen Physiker haben berechnet, dass es „unendlich viele Dimensionen“ gibt, sie haben alle eine Grundbedingung, sie müssen senkrecht auf den anderen Dimensionen stehen, und das tun sie auch – rein rechnerisch.
Ein ehemaliger Schüler und Freund von mir hat in seiner Dissertation bewiesen, dass gewissen Phänomene, die in der 5. Dimension gelten, in der 6. so nicht vorhanden sind.
Was fangen wir mit dieser Erkenntnis an, wenn wir nicht einmal wissen, wie man die 4. Dimension, die Zeit, in den Griff bekommt. Aber vielleicht geht es uns einmal wie den Menschen bei Platon, die losgebunden werden in ihrer Höhle und auf einmal eine andere und neue, weil dreiminensionale Welt entdecken. Wie klug Platon doch war. Aber – Voraussetzung ist immer, das Phänomen ( in diesem Fall die drei Dimensionen), muss schon vorhanden sein, dann befähigt die Entdeckung des Phänomens zum Finden neuer Erfahrungen.
Z.B. Einstein – Massenanziehung – früh mathematisch dargestellt, lange bezweifelt, aber ohne diese Idee keine geglückte Weltraumforschung.
Determinismus setzt also für mich ein System außerhalb von unserem voraus, das wir denkend nicht erfassen können, denn es setzt Eigenschaften voraus, die wir zwar benennen, aber nicht verstehen. Allwissend – allmächtig oder ewig.? : Allwissenheit gehört dem Menschen nicht an. Er ist ein durch sein System beschränktes Wesen. Da kommen wir beim Nachdenken nicht sehr weit. Ewig – ohne Anfang und ohne Ende – das ist für uns als befristete Lebewesen jenseits des Vorstellbaren – gehört nicht zu unserem System.
Warum stellen wir uns also etwas vor, das allmächtig ist? Ich glaube, weil es für viele ein tröstlicher Gedanke ist und eine Unterstützung bei der Bewältigung unseres komplizierten Daseins, das auch noch unausweichlich mit dem Tod endet. Wie tröstlich zu glauben, Glauben heißt nicht wissen – dass es jemanden „da oben“ gibt, der auf mich schaut, den ich um Rat fragen kann, den ich fürchte, wenn ich glaube, seine Gesetze zu übertreten, und der mir ein Leben nach dem Tod verspricht – in irgendeiner Form – als Engel auf einer Wolke im weißblauen Himmel – wäre kein schlechter Job.
Und diese Kraft, dieses System ist definiert als „allwissend“ – sehr oft. Und – im christlichen Glauben heißt es, es sei alles vorherbestimmt, aber wir hätten einen freien Willen. Das führte schon in meiner Abiturklasse zu erbittertem Streit mit dem Pfarrer im Religionsunterricht.
Irgendwie gehen diese beiden Begriffe – freier Wille und determiniertes Dasein – für uns und unsere Logik bis jetzt nicht zusammen, so sehr sich die Philosophen auch mit Definitionen und deren Abgrenzungen plagen.
Das muss jetzt nicht heißen, dass das nicht geht, in einem anderen System mag das kein Widerspruch sein, in unserem ist es einer und man bietet bisher nur „Notlösungen“ an, ich erinnere mich an verschwurbelte Erklärungsversuche unseres Pfarrers.
Determinismus bedeutet also für mich, dass es ein System gibt, das uns weit überlegen ist und welches unsere Welt als definiertes Werden entworfen und bis in die kleinsten Kleinigkeiten geplant hat. Warum das so ist, dafür haben wir keine Erklärung, wir können nicht von außen auf unsere Welt schauen.
Ein paar Parallelen zu dieser Vorstellung sehe ich in Computerspielen, wo den einzelnen Figuren gestimmte Eigenschaften gegeben werden, mit denen WIR sie dann „handeln“ lassen können, aber das ist natürlich nur ein müder Abklatsch von dem, was sich JEMAND ODER ETWAS mit unserer Welt so ausgedacht hat/haben soll.
Fazit: Das Erkennen von Kausalität in unserem Leben verliert mit der Annahme von Determinismus total an Bedeutung.
Unsere Welt als Plan und dessen Erfüllung – reduziert uns in dem, was wir als unser Menschsein empfinden.
Bei Kausalität bleibt das Spiel offen, die Entropie macht unser Leben spannend, wir verändern uns und reagieren immer auf etwas Neues und das Ende scheint nicht von vorneherein fixiert zu sein.
Wir merken den Unterschied zwischen dem Leben mit einem vollkommen „freien Willen“, den es ja gar nicht gibt, und einem determinierten Leben nicht, diese Außenschau ist uns nicht gegeben, aber wir können darüber diskutieren, das macht Spaß und ein bisschen demütig.
Heute haben wir irgendwie sehr schnell uns darauf geeinigt, einen freien Willen zu haben, haben aber von unserer Gesellschaft her definiert (Rechtssystem, Schuldfrage usw.) Ich finde, wenn man die Schuldfrage stellt, berücksichtigt man sowohl die Kausalität wie auch die Möglichkeit der Option.
Xerxes


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22.03.2021 23:20
#8
Ch

Die Präsentation von heute Abend.


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25.03.2021 06:27
avatar  Xerxes
#9
Xe

Definition Willensfreiheit 1, 2 und 3 - das sind nur Behauptungen, da fehlt mir die Begründung.
Allgemein fehlt mir bei den "Defintionen, Thesen, Behauptungen" oft die Beachtung von Ursache und Wirkung.
Beispiel: Wenn ich über Schuld in juristischem Sinn diskutiere, setze ich den freien Willen voraus. Das geschieht, weil wir wahrscheinlich zurecht denken, dass ohne diese Annahme unser Gesellschaftssystem zusammenbrechen würde. Aber für die Definition von "freier Wille" ist das die falsche Vorgehensweise. Wir haben nicht deshalb einen freien Willen, damit unser System nicht zusammenbricht.
Ferdinand und ich haben einen sehr interessanten Diskurs gestartet, Ferdinand wird ihn ins Forum stellen.
Xerxes


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26.03.2021 12:19
avatar  Xerxes
#10
Xe

Singer macht sehr interessante Vorschläge zum Umgang mit schuldhaften Verhalten. Er argumentiert nicht einfach, freier Wille, Böses gemacht - rin in Kasten! Genau- wie frei ist unser freier Wille? Ich fürchte, er ist nicht frei.
Xerxes


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26.03.2021 12:37
#11
Ch

Danke für den Kommentar.
Meine Herangehensweise entstammt der Logik (nach Wittgenstein eine "mathematische Methode").
Definitionen sind Definitionen. (Meinetwegen Axiome").
Thesen bedürfen einer Begründung, nicht Definitonen.
Denn die Thesen sind letztlich TheFolgerungen von Definitionen.

Das Schema ist:
Aus
Definitionen 1 und Definition 2 und ... und Definition x folgt
These.

Man muss bei einem Argument ja irgendwo anfangen. Ich habe versucht, mit diesem Anfang zu argumentieren.

Warum sind überhaupt Definitonen nötig? Beispiel: Benjamin Libet verwendet in seiner Versuchsbeschreibung das Verb "to act". Ich habe aber argumentiert, dass das Heben einer Hand (nach vorheriger Anweisung!) KEINE Handlung im Sinne der Wissensfreiheit ist. Vielmehr braucht so eine Handlung (nach meiner dreiteiligen Definition von Willensfreiheit) einen bewussten, selbstbestimmten, handlungsleitenden Grund. Libet hat das Befolgen von Anweisungen gemessen, nicht in diesem Sinne freie Willensentscheidungen.

Gegenbeispiel: Ich hätte auch definieren können: Freiheit ist etwas, das nicht determiniert ist. Dann würde folgen, dass der Kompabilitismus falsch ist. Aber das ist eine komische These, weil sie angesichts der vielen, schlauen Kompabilitisten unplausibel ist.

Du beklagst, wenn ich es richtig verstehe, dass man in der Rechtsprechung sowas wie Willensfreiheit schon voraussetzt. Wie gesagt, man muss immer irgendwo anfangen. Was ich (auch) zeigen wollte, ist, dass man im kulturellen Kontext keine "Rückführung auf die Naturgesetze" erwarten sollte. Ich halte das generell für einen modernen Mythos. (Ein Naturalist mag das anders sehen, oder verschieden Naturalisten verschieden).
Ein Ergebnis der Diskussion war ja, dass es nützlicher sein könnte zu fragen, was (das kulturelle Konzept) Willensfreiheit NÜTZT, statt zu fragen, was sie IST (also eine Letztbegründung erwartet).
Was sie IST, habe ich definiert (jedenfalls für die Zwecke des Vortrags). Und eine Letztbegründung zu erwarten halte ich für illusionär.


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26.03.2021 12:47
avatar  Xerxes
#12
Xe

Christoph hat hier in geradezu vorbildlicher Weise die "Geschichte" der Theorien zum freien Willen vorgestellt. Nun hatte wir uns aber vor kurzem darauf verständigt, dass unsere Beiträge den Bezug zum Menschen im Auge haben sollen, und zwar zum lebenden und tätigen Menschen, der nach dem momentanten Selbstverständnis geistig gesund ist. (heikel, was ich da so schreibe, so ähnlich würde ich unsere Beschluss beschreiben). Ich habe die Karten von Christoph immer wieder gelesen und versucht, diesen Ansatz zu finden. Ich finde ihn nicht.
Was tue ich nun mit dem akademischen Versuch, "freien Willen" einzukreisen und einzuzäunen" und wer bestimmt, wer Recht hat. In der Diskussion wurde vom "akzeptierten freien Willen"(Theorie..) ohne Begründung auf die Folgen hingewiesen, wenn man keinen freien Willen hätte und das klang das so, als ob das ja gar nicht anders sein kann, weil es nicht sein darf. Man hätte dann gerechterweise auch diskutieren müssen, was sich ändern würde. Bei Singer ändert sich ja nicht so viel...
Zu welchen Ergebnissen seid Ihr denn gekommen? Was überzeugt Euch, weil es begründet und nachvollziehbar ist?
Man kommt weg von der Philosophie, wenn man sie auf diese theoretische Weise betreibt. Es gibt mittlerweile bei den jüngeren Professoren Tendenzen, die Definitionen in der gelebten Welt und an deren Bedingungen festzumachen und wegzukommen von Theorien und Debatten der Wortwahl in Definitionen.
Weil ich glaube, dass alles, was wir erleben, einen Eindruck bei uns hinterlässt und in Zukunft unser Denken und Handeln beeinflussen kann und wird, falls dann nichts momentan Stärkeres dagegenspricht, wäre in diesem Sinne der Bezug zum Menschen i(Humanismus) im Sinne unserer Absichtserklärung.
Xerxes
Xerxes


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26.03.2021 16:10
#13
Ch

Ja, stimmt, diese Kritik halte ich für berechtigt.
Ich habe das präsentiert, was ich halt im Philosophiestudium gelernt habe und am besten kann. Begriffs- und auch Wissenschaftskritik. (Lustig übrigens, dass Deine erste Frage auch auf die DEFINITIONEN abzielte!)
Ich finde das zwar WICHTIG, aber ja, der Bezug zum konkreten Menschen ist da nicht einfach zu finden. Das war mir schon klar, als ich mich (tatsächlich nur zögerlich) zum Vortrag gemeldet hatte. (Ich hadere übrigena gerade nicht nur mit der Philosophie, sondern auch mit der akademischen Welt als Ganzer. Was für ein elitärer, hermetisch abgeriegelter Zirkel! Einen verstärkten Praxisbezug kann jedenfalls ICH nicht erkennen. Aber das nur nebenbei.)
Aber wäre denn die Frage, was denn WÄRE, wenn wir dieses kulturelle Konzept der "Willesfreiheit" aufgeben WÜRDEN, nicht genau wieder dasselbe? Es wäre wieder eine akademische Diskussion. Ich glaube, dass es jedenfalls einige gab (ich selbst gehöre dazu), die denken, dass es einfach nicht GEHT, die Ansicht aufzugeben, dass wir Akteur*innen unserer eigenen Handlungen sind (und nicht irgendwelche Schaltkreise im Hirn). Das erste ist konkrete Subjektivität, das zweite ein abstraktes Modell.

Wenn ich recht habe, dann wäre also "der konkrete Mensch" in meinem Versuch versteckt, die neurologische Modellbildung als Abstraktion zu 'entlarven'. Welche sich hinter metaphorischer Sprache versteckt. Man sieht dann nämlich den Abstraktionscharakter nicht mehr leicht.
Oder im Umkehrschluss: Wenn rübergekommen ist (wie in Deiner Kritik), dass in der akademischen Debatte die Frage nach der Freiheit NICHT geklärt werden kann ( ja vielleicht nicht einmal BERÜHRT!), dann hätte mein Vortrag sein Ziel erreicht. Mein Ziel war ein rein negatives. Der "konkrete Mensch" ist anderswo zu suchen.
(Aber auch der "konkrete Mensch" ist eine Abstraktion, usw. ad infinitum.)

Lasst Euch z.B. in den Knast stecken und schreibt ein Tagebuch wie Evgeniia Iaroslavskaia-Markon! Dann findet ihr vielleicht wahre Freiheit. Ich habe den Vortrag nicht zufällig mit ihr beendet.
Es gab ihn eben doch in den Folien, den konkreten Menschen.


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27.03.2021 12:16
avatar  Felix
#14
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Niemals werden die Menschen das Konzept der Willensfreiheit aufgeben.
Da es dem psychischen Bedürfnis Nr. 1 (Streben nach Wertschätzung) völlig zuwider läuft.
Die Menschen könnten auf nichts mehr stolz sein. Der allergrößte Teil der Menschheit - vor allem die Erfolgreichen, die das Sagen haben, erleben sich im Plusbereich was Ihre Leistungen betrifft. Die Vorstellung quasi nicht mehr Lobenswertes vorweisen zu können als die schlimmsten Verbrecher
gefällt nicht. Hinzu kommt das meist eindeutige gefühlsmäßige Erleben von Willensfreiheit, welches für die meisten Menschen Beweiskraft genug hat.
Spannender finde ich die - meist unbewussten - und vielfach grotesken Bemühungen ein Weltbild zu basteln und zu propagieren welches Spielräume des "freien Willens" zulässt. Nicht einmal die - nicht gerade wissenschaftshörigen - christlichen Religionen konnten da ein halbwegs konsistentes Gesamtgebäude erstellen.


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09.04.2021 09:56
avatar  Xerxes
#15
Xe

Felix, danke, super Untertstützung meiner Gedanken, ich habe schon nicht mehr darauf gehofft.
Xerxes


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